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Bezirksparteitag Oberbayern 2022.1 der Piraten in München

Digitalpolitiker Krueger sieht Wahlkampf als Chance

Dr. Olaf Konstantin Krueger, M.A. Foto: jdv
Dr. Olaf Konstantin Krueger

München — „Wer inhaltlich gestalten will, braucht Einfluss – eine Partei benötigt Mandate“, be­tont der Digital­po­li­ti­ker Dr. Olaf Konstantin Krueger. „Das sozial­digitale Werte­set der Piraten­partei Deutschland er­mög­licht auch bei kom­ple­xen The­men ein­präg­sa­me und gut ver­mit­tel­ba­re Aus­sa­gen“, er­läu­ter­te Krueger auf dem Be­zirks­par­tei­tag Oberbayern 2022.1 der Piraten­partei Deutschland in der Münchener Lan­des­ge­schäfts­stel­le. Die kom­men­den Wahlen zum 17. Bezirkstag von Oberbayern und zum 19. Landtag des Freistaates Bayern soll­ten die PIRATEN als Kom­mu­ni­ka­tions­pro­zes­se auf­fas­sen: Sie bö­ten den po­li­ti­schen Ak­teu­ren die Chance, Po­si­tio­nen zu kon­kre­ti­sie­ren sowie Blocka­den und Krisen zu überwinden.

Wegweiser

  • Einführung
  • „Neue Normalität“: Krisenzeit
  • Potenzial der Digitalisierung
  • Sozialdigitales Werteset der Piratenpartei
  • Wahlergebnisse der Piratenpartei
  • Wahlkampf als Chance

1. Einführung

Ahoi PIRATEN, werte Parteifreunde, sehr geehrte Gäste, geschätzte Medienvertreter! Der Bezirks­ver­band Oberbayern der Piraten­partei Deutschland freut sich, Sie in der Lan­des­ge­schäfts­stel­le München zum Bezirks­par­tei­tag Oberbayern 2022.1 be­grü­ßen zu kön­nen. Die Ta­ges­ord­nung ist in drei Ab­schnit­te ge­glie­dert. Wir dis­ku­tie­ren ers­tens die Tä­tig­keits- und Re­chen­schafts­be­rich­te 2021—2022 des am­tie­ren­den 15. Be­zirks­vor­stan­des, be­fin­den zwei­tens im Blick zu­rück über die Par­tei­ar­beit wäh­rend der Corona-Krise 2021/2022 re­spek­ti­ve des Be­ginns der krie­ge­ri­schen Es­ka­la­tion im Ukraine-Konflikt 2022 und wäh­len drit­tens mit Blick voraus den 16. Be­zirks­vor­stand für die Amts­perio­de 2022—2023. Ein Dank geht an die Netz­wer­ker in der PiratenIT und an die Re­dak­teu­re der PIRATEN-Pub­li­ka­tion „Flaschenpost“.

2. „Neue Normalität“: Krisenzeit

Die Zeiten sind herausfordernd, die wirtschaftlichen Aussichten trübe, die Prognosen pessimistisch.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet in diesem Jahr nur noch mit einem globalen Wachs­tum von 3,2 Pro­zent. In Deutschland soll das Brutto­in­lands­pro­dukt (BIP) le­dig­lich um 1,2 Pro­zent wach­sen. In den In­dus­trie­staa­ten wer­de die Teue­rungs­rate im Durch­schnitt 6,6 Pro­zent be­tra­gen, in den Schwel­len- und Ent­wick­lungs­län­dern gar 9,5 Pro­zent. Der IWF warnt zu­dem vor ei­ner ver­schärf­ten Nah­rungs­mit­tel­krise. Die Prog­no­se ver­weist auf meh­re­re Schocks, die auf eine durch die Corona-Krise ge­schwäch­te Wirt­schaft trä­fen. So be­ein­träch­tig­ten die Lockdowns in der Volks­re­pu­blik China die glo­ba­len Lie­fer­ket­ten und der Ukraine-Konflikt die gro­ßen eu­ro­päi­schen Volkswirtschaften.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat wegen der Rekordinflation die Negativzinsen ab­ge­schafft, erst­mals seit elf Jah­ren die Zinsen auf 0,5 Pro­zent an­ge­ho­ben und eine Serie von Zins­er­hö­hun­gen an­ge­kün­digt. Nach Ein­schät­zung der Bundesbank hat die deutsche Wirt­schafts­leis­tung im Früh­jahr 2022 stag­niert. Im Resümee be­las­te die hohe Teuerung die Kauf­kraft der privaten Haus­hal­te und die Un­ge­wiss­heit be­züg­lich der künf­ti­gen Energie­ver­sor­gung dämpfe die Kon­sum­laune.

Beim Konsumklima in Deutschland verzeichnet das Nürnberger Kon­sum­for­schungs­un­ter­neh­men GfK ein All­zeit­tief: Bewegt sich die Kurve der Kon­sum­stim­mung üb­li­cher­wei­se stabil um einen Wert von 10, so fiel sie wäh­rend des ersten Lockdowns auf einen Tief­punkt von etwa minus 24 und wird im August noch weiter auf minus 30,6 sin­ken. Das ist der schlech­tes­te seit Be­ginn der Er­he­bung der Ver­brau­cher­stim­mung für Ge­samt­deutsch­land im Jahr 1991 ge­mes­se­ne Wert. Die Gründe sieht die GfK in un­ter­bro­che­nen Lie­fer­ket­ten, dem Ukraine-Konflikt, stark stei­gen­den Energie- und Le­bens­mit­tel­prei­sen, der In­fla­tion, er­heb­li­chen Sor­gen um das Ein­kom­men so­wie Be­fürch­tun­gen um ei­ne re­du­zier­te Gas­ver­sor­gung von Wirt­schaft und pri­va­ten Haus­hal­ten im nächs­ten Winter.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) warnt über­dies vor mehr Zwangs­ver­stei­ge­run­gen we­gen der Inflation und der Zins­er­hö­hun­gen der Eu­ro­päi­schen Zen­tral­bank (EZB): So­bald die Zins­bin­dung bei Hypo­the­ken en­de­te, wür­den die Rück­zah­lun­gen spür­bar nach oben ge­trie­ben wer­den, was Schuld­ner fi­nan­ziell über­for­dern könne. Im Juni lag die In­fla­tions­ra­te in der Bun­des­re­pu­blik Deutschland laut Sta­tis­ti­sches Bun­des­amt (Destatis) bei 7,6 Pro­zent, im Juli könn­te sie 7,5 Pro­zent betragen.

Zugleich sollen Behörden, Unternehmen und Bevölkerung wegen knapper wer­den­der Energie­res­sour­cen und mit Blick auf die Ab­schal­tung der letz­ten drei deut­schen Kern­kraft­wer­ke Ende des Jahres we­ni­ger Energie ver­brau­chen. So schlägt bei­spiels­wei­se die „Deut­sche Ge­sell­schaft für das Ba­de­we­sen (DGfDB)“ für den Fall, dass die Energie­lie­fe­run­gen an Schwimm­bäder deut­lich re­du­ziert wer­den, meh­re­re Maß­nah­men vor: Diese rei­chen von der Ab­sen­kung der Becken­was­ser­tem­pe­ra­tu­ren über die Au­ßer­be­trieb­nah­me mit fos­si­ler Energie be­heiz­ter Frei­bä­der bis hin zur Schlie­ßung von Frei­zeit­bä­dern ohne kom­mu­na­le Pflicht­auf­ga­ben oder von Bädern in the­ra­peu­ti­schen Ein­rich­tun­gen und Kli­ni­ken. In Regensburg wurde be­reits die Heiz­tem­pe­ra­tur in Sport­hal­len und Büros re­du­ziert, städ­ti­sche Be­diens­te­te sol­len wie in Nürnberg und Würzburg wie­der mobil oder im Homeoffice ar­bei­ten. Die Min­dest­tem­pe­ra­tur in Münchener Frei­bä­dern und bei Außen­becken der Hal­len­bä­der wurde um zwei Grad auf 22 °C ge­senkt. Und in der Münchener Stadt­ver­wal­tung fließt nur noch kaltes Wasser. Robert Habeck, MdB (Bünd­nis 90/DIE GRÜNEN), Bun­des­mi­nis­ter für Wirt­schaft und Klima­schutz im Ka­bi­nett Scholz I, hat schon En­de Juni nahe­ge­legt, kür­zer zu duschen. Und Katrin Göring-Eckardt, MdB (Bünd­nis 90/DIE GRÜNEN), emp­fiehlt ak­tu­ell, „kurz duschen, aus­ma­chen, ein­sei­fen, ab­wa­schen, fer­tig“. Ko­in­zi­dent ver­zeich­net Google ei­nen au­ßer­or­dent­lich star­ken An­stieg bei Such­an­fra­gen nach Brenn­holz, Heiz­strah­lern und Pro­pan­gas­fla­schen für den Winter.

Derzeit ist der Deutsche Bundestag für zwei Monate in der Sommerpause – vom 9. Juli bis ein­schließ­lich 4. Sep­tem­ber fin­den kei­ne Sit­zun­gen statt. Die Vize­prä­si­den­tin des Deut­schen Bun­des­ta­ges mahnt gleich­wohl: „Wir soll­ten uns bewusst ma­chen: Die not­wen­di­gen Ein­schrän­kun­gen we­gen des Krieges sind nur der An­fang. Die Klimakrise wird uns noch viel mehr Ein­schrän­kun­gen ab­ver­lan­gen.“ Göring-Eckardt fügt an: „Un­ser Le­ben wird sich ver­än­dern, ob wir wol­len oder nicht. Die Res­sour­cen des Planeten sind end­lich. End­lo­ses Wachs­tum kann es folg­lich nicht ge­ben. Bis­lang ging es bei der De­fi­ni­tion um Wohl­stand nur um das Brut­to­in­lands­pro­dukt und Wachs­tum. Künf­tig wird für Wohl­stand auch ent­schei­dend sein, ob ein Land ei­ne gu­te Klimabilanz und ein funk­tio­nie­ren­des Bil­dungs- und Ge­sund­heits­sys­tem hat.“

Indessen konkretisieren sich die neuen restriktiven be­hörd­li­chen Corona-Maßnahmen von Herbst 2022 bis Ostern 2023. Das Bun­des­mi­nis­te­rium für Ge­sund­heit (BMG) schal­tet der­zeit An­zei­gen zur „Sommer­welle“ und rech­net we­gen der an­ste­cken­de­ren Virus­va­rian­te BA.5 nach dem Sommer mit einer „pre­kä­ren Si­tua­tion“. Die Bun­des­län­der drän­gen auf grö­ße­re Ein­griffs­mög­lich­kei­ten in die Grund­rechte via „In­stru­men­ten­kas­ten“, was Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) über Twitter be­grüßt: „Die Bun­des­län­der müs­sen bei den Schutz­maß­nah­men ent­fes­selt wer­den“. Ohne taug­li­che Maß­nah­men würde die Lage „ka­tas­tro­phal“, ins­be­son­de­re, wenn das Klinik­per­so­nal aus­fal­le: „Das ist wie eine Kerze, die an beiden Enden brennt.“ Und für den Vor­sit­zen­den des Welt­ärzte­bun­des, Frank Ulrich Montgomery, hat der „In­stru­men­ten­kas­ten“ auch Lockdowns zu in­klu­die­ren, denn: „Ein In­fek­tions­schutz­ge­setz soll Chan­cen er­öff­nen und Leben ret­ten.“ Un­ter­des­sen ist eine wei­te­re mil­lio­nen­schwe­re Impf­kam­pag­ne in Vor­be­rei­tung und die Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­tion (WHO) hat den Affenpocken-Aus­bruch zu ei­ner „Not­la­ge von in­ter­na­tio­na­ler Trag­weite“ erklärt.

Wohlgemerkt: Die bisherigen Corona-Maßnahmen haben bereits zum höchsten je­mals ge­mes­se­nen staat­li­chen Schul­den­stand ge­führt: Nach neuen Zah­len des Sta­tis­ti­schen Bun­des­am­tes ist die öf­fent­li­che Ver­schul­dung zum Jah­res­en­de 2021 ge­gen­über dem Jah­res­ende 2020 um 6,8 Pro­zent oder 148,3 Mil­liar­den Euro ge­stie­gen. Ende 2021 war der Bund mit 1.548,5 Mil­liar­den Euro ver­schul­det. Der Schul­den­stand stieg ge­gen­über dem Jah­res­en­de 2020 um 10,3 Pro­zent be­zie­hungs­wei­se 145,0 Mil­liar­den Euro. Um­ge­rech­net auf die Ein­woh­ner­zahl Deutschlands be­trug die Pro-Kopf-Ver­schul­dung 18.627 Euro (2020: 16.884 Euro). Die Schulden der Länder sind im Vor­jah­res­ver­gleich um 0,4 Pro­zent/2,5 Mil­liar­den Euro auf 638,5 Mil­liar­den Euro ge­stie­gen. Die Ver­schul­dung der Ge­mein­den und Ge­mein­de­ver­bän­de wuchs im Vor­jah­res­ver­gleich um 0,6 Pro­zent/0,8 Mil­liar­den Euro auf 134,2 Mil­liar­den Euro. Übrigens: Je höher die In­fla­tion, desto weniger wert sind die Zah­lungs­ver­pflich­tun­gen des Staates.

Im politischen Alltag allerdings wünscht sich der Oppositionsführer im 20. Deutschen Bundestag und Bun­des­vor­sit­zen­de der CDU, Friedrich Merz, von der Union mehr Zu­ver­sicht und Op­ti­mis­mus. Zum Ab­schluss der CSU-Klausur in Kloster Banz er­klär­te Merz kürz­lich: „Wir schät­zen die Lage über­ein­stim­mend als kri­tisch ein, aber lös­bar. Wir tei­len die Auf­fas­sung, dass es kei­nen Sinn macht, nun jedes Jahr das Land mit Schreckens­nach­rich­ten zu über­zie­hen, wie furcht­bar das alles wird mit Corona und Öl und Gas und Kohle.“

Und so wird bei sommerlichen Temperaturen auf Partys, Paraden und Volksfesten eng gefeiert, der Nah- und Re­gio­nal­ver­kehr ist dank 9-Euro-Ticket an der Be­las­tungs­gren­ze und zu Ferien­be­ginn sind Bayerns Auto­bah­nen blo­ckiert wie vor der Corona-Krise. Markt­for­scher er­klä­ren dies frei­lich mit ei­nem Nach­hol­be­darf in­fol­ge des Aus­set­zens der re­strik­ti­ven Corona-Maßnahmen. Die hohe In­fla­tions­quote ver­än­dert laut GfK zu­dem das Aus­ga­be­ver­hal­ten. Bei Pro­duk­ten des täg­li­chen Be­darfs wie Le­bens­mit­teln werde ge­spart, be­leg­bar am Men­gen­rück­gang. Die Buchungs­zah­len für pri­va­te Ur­laubs­rei­sen hin­ge­gen seien in der ak­tu­el­len Sommer­saison ver­gleich­bar mit je­nen des Jahres 2019. Dies be­stä­tigt auch DER Touristik Zentraleuropa. Ei­ner Aus­wer­tung des Buchungs- und Reise­ver­hal­tens zu­fol­ge las­sen sich die Rei­sen­den den Urlaub in die­sem Sommer auch mehr kosten, geben im Schnitt 51 Pro­zent mehr für ei­nen Hotel­auf­ent­halt aus, buchen höhere Hotel­ka­te­go­rien und mehr All-Inclusive-Ver­pfle­gung. Der ADAC mel­det zu Be­ginn der Sommer­ferien wieder lange Staus auf Bayerns Auto­bah­nen. Und selbst die In­dus­trie- und Han­dels­kam­mer für München und Oberbayern be­schäf­tigt nach­hal­ti­ger Tourismus.

3. Potenzial der Digitalisierung

Blenden wir kurz Wirtschaftskrise, Ukraine-Konflikt und Corona-Krise aus und fo­kus­sie­ren uns auf die Digitalisierung – und freuen wir uns: Deutschland ist wieder Fußball-Welt­meis­ter ge­wor­den. Dies­mal im „Humanoid AdultSize Soccer“. Bei der RoboCup-Welt­meis­ter­schaft vom 13. Ju­li bis 16. Ju­li in Bangkok, Thailand, hat das Team der Uni­ver­si­tät Bonn den Titel er­folg­reich gegen das Team der Hanyang University, Korea, ver­tei­digt. Die mensch­ähn­li­chen Fuß­ball­ro­bo­ter wurden in der Ar­beits­grup­pe „Au­to­no­me In­tel­li­gen­te Sys­te­me“ des In­sti­tuts für In­for­ma­tik ent­wickelt, wel­ches von Prof. Dr. Sven Behnke ge­lei­tet wird. Sie konn­ten mit ver­bes­ser­tem Sicht­sys­tem und wei­ter­ent­wi­ckel­ter Software zahl­rei­che Zwei­kämpfe ge­win­nen und den Ball zü­gig im geg­ne­ri­schen Tor ver­sen­ken. Bis zur Mitte des Jahr­hun­derts sollen sich die Fuß­ball­ro­bo­ter so­gar ge­gen den dann am­tie­ren­den mensch­li­chen Welt­meis­ter be­haup­ten kön­nen. Für Behnke ist bereits klar: „Roboter, die sich schnell und robust auf zwei Beinen fort­be­we­gen kön­nen, wä­ren auch für zahl­rei­che An­wen­dun­gen nütz­lich, zum Bei­spiel in un­se­ren All­tags­um­ge­bun­gen.“

Womit wir mitten in der Spitzenforschung über Künstliche Intelligenz (KI), Ma­schi­nel­les Lernen (ML) und Robotik sind – bei deren Potenzial für Automation, Rationalisierung, Datenanalyse, Modellierung, vorausschauende Instandhaltung, bei den Fragen zur Transparenz von Algorithmen, zur Technikfolgenabschätzung und zu ethischen Standards unter der Prämisse, dass die Maschinen das menschliche Ziel nachweislich maximieren.

Der Freistaat Bayern fördert diese Spitzenforschung seit Anfang Oktober 2019 durch eine bun­des­weit ein­zig­ar­ti­ge Tech­no­lo­gie­of­fen­si­ve über die „Hightech Agenda Bayern“ und die „Hightech Agenda Plus“ mit ins­ge­samt 3,5 Mil­liar­den Euro. So hat das Leibniz-Rechenzentrum (LRZ) der Bayerischen Akademie der Wis­sen­schaf­ten in Garching Ende Mai den bis dato welt­weit größ­ten Chip mit 850.000 Rechen­ker­nen vor­stel­len kön­nen: Das Cerebas CS-2-System lie­fert die nö­ti­ge Rechen­ka­pa­zi­tät, um große Da­ten­volumina mit KI und ML aus­zu­wer­ten, bei­spiels­wei­se zur Ver­ar­bei­tung na­tür­li­cher Sprache (Natural Language Processing, NLP), zur Analyse me­di­zi­ni­scher Bil­der, zur Si­mu­la­tion von Strö­mungs­ver­läu­fen (Computational Fluid Dynamics, CFD) in der Luft- und Raum­fahrt­tech­nik so­wie der Fertigung.

4. Sozialdigitales Werteset der Piratenpartei

Solche stellvertretend und kursorisch angeführten technologischen Innovationen er­for­dern so­wohl wis­sen­schaft­li­che Be­glei­tung als auch po­li­ti­sche Ge­stal­tung – und ge­sell­schaft­li­che Of­fen­heit für digitale Technologien.

Repräsentative Studien belegen die allgemeine Offenheit für digitale Technologien. So zu­letzt ei­ne Studie im Auftrag der Ini­tia­ti­ve „Digital für alle“ an­läss­lich des drit­ten bun­des­wei­ten Digitaltags am 24. Ju­ni 2022. Da­nach ste­hen neun von zehn Be­frag­te (88 Pro­zent) digitalen Technologien positiv gegenüber. Für 89 Pro­zent sind sie aus dem ei­ge­nen Leben nicht mehr weg­zu­den­ken. Und für 80 Pro­zent er­leich­tern sie das Leben. Zu­gleich sieht eine Mehr­heit (58 Pro­zent) ei­ne „digitale Spaltung“ und be­fürch­tet, dass nicht alle Menschen in gleichem Maße vom tech­no­lo­gi­schen Fort­schritt pro­fi­tie­ren. Schließ­lich wün­schen sich acht von zehn Be­frag­te (83 Pro­zent) eine För­de­rung der digitalen Medien- und In­for­ma­tions­kom­pe­ten­zen über die ge­sam­te Bil­dungs­ket­te hinweg.

Diese Ergebnisse dürften der technophilen Piratenpartei Deutschland zupasskommen, be­grüßt sie doch pro­gram­ma­tisch und politisch die digitale Transformation, ak­zen­tu­iert da­bei Er­halt und Stär­kung der Bürgerrechte – ins­be­son­de­re in­for­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung, Privatsphäre, Datenschutz, digitale Souveränität und Teilhabe –, und ver­neint Zensur- und Über­wa­chungs­be­stre­bun­gen – etwa Uploadfilter, ver­dachts­un­ab­hän­gi­ge Vor­rats­da­ten­spei­che­rung und bio­me­tri­sche Datenbanken.

Dieses sozialdigitale Werteset ermöglicht auch bei komplexen Themen ein­präg­sa­me und gut ver­mit­tel­ba­re Aus­sagen. Dies ver­deut­li­chen sechs Beispiele:

  • Der verpflichtende Einsatz einer vollautomatisierten anlasslosen „Chatkontrolle“ hebelt die sichere Ende-zu-Ende-Ver­schlüs­se­lung von Messenger-Diensten aus und kann zur Mas­sen­über­wa­chung miß­braucht werden.
  • Die Regulierung der Kryptowährungen mit ob­li­ga­to­ri­scher Über­wa­chung aller Wallets und Iden­ti­fi­zie­rungs­an­for­de­rung schränkt die fi­nan­ziel­le Frei­heit ge­set­zes­treuer Bürger ein – auch Whistleblower Edward Snowden warnt ent­schie­den vor digitalen staat­li­chen Wäh­run­gen und der Ab­schaf­fung des Bargelds.
  • Das umfassende Regulierungspaket für Online-Plattformen mittels der beiden EU-Verordnungen „Gesetz über digitale Märkte“ (Digital Markets Act, DMA) und „Gesetz über digitale Dienste“ (Digital Services Act, DSA) schützt weder die freie Mei­nungs­äu­ße­rung noch die Privat­sphäre im Netz.
  • Der „Europäische Raum für Gesundheitsdaten“ (European Health Data Space, EHDS) als Bin­nen­markt für digitale Ge­sund­heits­dienste und -pro­duk­te muss vor dem Ab­fluss hoch­sen­sib­ler Ge­sund­heits­in­for­ma­tion ge­schützt wer­den (Stich­worte: Cyberangriffe, Datenlecks, Abverkäufe).
  • Die weitreichenden Grundrechtseinschränkungen in den letzten zwei­ein­halb Jahren der Corona-Krise ge­fähr­den den frei­heit­lich-de­mo­kra­ti­schen Rechtsstaat.
  • Die vom EU-Parlament im Mai verabschiedete Sperrklausel von min­des­tens 3,5 Pro­zent hebelt Ur­tei­le des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts (BVerfG) zur Ver­fas­sungs­wi­drig­keit sol­cher Hür­den aus und be­nach­tei­ligt Klein­par­teien bei der EU-Wahl im Früh­jahr 2024.

5. Wahlergebnisse der Piratenpartei

Technophilie und bürgerrechtsorientierte Digitalpolitik reichen jedoch gerade in Krisen­zeiten nicht aus, um Widerhall in Main­stream­medien und bei Wahlen zu finden: Wer in­halt­lich ge­stal­ten will, braucht Ein­fluss – ei­ne Partei be­nö­tigt Mandate.

Die Achtungserfolge der Piratenpartei in den 2000er-Jahren ließen sich in der Wirt­schafts- und Fi­nanz­krise (ab 2007) so­wie der Eurokrise (ab 2009) in den 2010er-Jahren nicht fort­set­zen, obschon

  • Digitalthemen Teil des gesellschaftspolitischen Diskurses waren – Bei­spie­le: Ur­he­ber­recht in der In­for­ma­tions­ge­sell­schaft, schnelles Internet, flä­chen­de­cken­de und hoch­leis­tungs­fä­hi­ge Mobil­funk­ab­de­ckung, Netz­neu­tra­li­tät, Cybersicherheit, digitale Verwaltung,
  • PIRATEN erfolgreich Kampagnen anschoben – Bei­spie­le: WLAN-Störer­haf­tung, EU-Ur­he­ber­rechts­richt­linie, und
  • Mitglieder in Einzelfragen mit anderen Kleinparteien kooperierten sowie Partei­gän­ger par­tiell auf offenen Listen für Kom­mu­nal­par­la­men­te kandidierten.

Medienwirksame Auseinandersetzungen schwächten, ideologische Grabenkämpfe blockierten und spek­ta­ku­läre Partei­wechsel ver­un­si­cher­ten PIRATEN, An­hän­ger und Öffent­lich­keit. Das Be­to­nen pro­gram­ma­tisch rand­stän­di­ger Themen über­la­ger­te die Kern­an­lie­gen der Piraten­partei, ver­wäs­ser­te Profil und Kom­mu­ni­ka­tion. Schließ­lich do­mi­nier­te ab 2015 die Migrationskrise die Debatten.

Anfang der 2020er-Jahre beschränkten die restriktiven behördlichen Corona-Maßnahmen wie FFP2-Masken­pflicht, Social Distancing, Aus­gangs­sperre, Quarantäne und Lockdowns die Öf­fent­lich­keits­ar­beit, ins­be­son­de­re das Ver­an­stal­tungs­ma­na­ge­ment. Da­mit war ein we­sent­li­cher Weg blo­ckiert, The­men zu set­zen, Deu­tungs­ho­heit zu er­lan­gen, Ziel­grup­pen zu er­rei­chen und Bot­schaf­ten zu verbreiten.

Im Jahr 2021 wurden fünf Landtage und der Deutsche Bundestag neu gewählt. Bei allen Urnen­gän­gen er­hiel­ten die PIRATEN un­ab­hän­gig von der je­wei­li­gen Wahl­kampf­stra­te­gie maxi­mal 0,5 Pro­zent. Die Er­geb­nis­se der PIRATEN im Einzelnen:

  • Wahl zum 17. Landtag des Landes Baden-Württemberg am 14. März 2021: 2.878 Stim­men/0,1 Pro­zent (Wahl­be­tei­li­gung: 63,8 Pro­zent; Koalition: Bünd­nis 90/DIE GRÜNEN, CDU),
  • Wahl zum 18. Landtag des Landes Rheinland-Pfalz am 14. März 2021: 10.393 Lan­des­stim­men/0,5 Pro­zent (Wahl­be­tei­li­gung: 64,3 Pro­zent; Koalition: SPD, Bünd­nis 90/DIE GRÜNEN, FDP),
  • Wahl zum 8. Landtag des Landes Sachsen-Anhalt am 6. Juni 2021: 3.815 Zweit­stim­men/0,4 Pro­zent (Wahl­be­tei­li­gung: 60,3 Pro­zent; Koalition: CDU, SPD, FDP),
  • Wahl zum 8. Landtag des Landes Mecklenburg-Vorpommern am 26. Sep­tem­ber 2021: 3.706 Zweit­stim­men/0,4 Pro­zent (Wahl­be­tei­li­gung: 70,8 Pro­zent; Koalition: SPD, DIE LINKE),
  • Wahl zum 19. Abgeordnetenhaus des Landes Berlin am 26. Sep­tem­ber 2021: 7.440 Zweit­stim­men/0,4 Pro­zent (Wahl­be­tei­li­gung: 75,4 Pro­zent; mas­si­ve Un­re­gel­mä­ßig­kei­ten; Koalition: SPD, Bünd­nis 90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE),
  • Wahl zum 20. Deutschen Bundestag am 26. September 2021: 169.923 Zweit­stim­men/0,4 Pro­zent (Wahl­be­tei­li­gung: 76,6 Pro­zent; Koalition: SPD, Bünd­nis 90/DIE GRÜNEN, FDP).

Die drei bisherigen Landtagswahlen in 2022 waren allgemein Prüf­stei­ne für die neue Bun­des­re­gie­rung aus SPD, Bünd­nis 90/DIE GRÜNEN und FDP sowie für die op­po­si­tio­nel­le CDU/CSU und die AfD. Die Er­geb­nis­se der PIRATEN hier:

  • Wahl zum 17. Landtag des Landes Saarland am 27. März 2022: 1.318 Zweit­stim­men/0,3 Pro­zent (Wahl­be­tei­li­gung: 61,4 Pro­zent; Al­lein­re­gie­rung der SPD),
  • Wahl zum 20. Landtag des Landes Schleswig-Holstein am 8. Mai 2022: 4.753 Zweit­stim­men/0,3 Pro­zent (Wahl­be­tei­li­gung: 60,3 Pro­zent; Koalition: CDU, Bünd­nis 90/DIE GRÜNEN),
  • Wahl zum 18. Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen am 15. Mai 2022: 19.248 Zweit­stim­men/0,3 Pro­zent (Wahl­be­tei­li­gung: 55,5 Pro­zent; Koalition: CDU, Bünd­nis 90/DIE GRÜNEN).

In diesem Jahr steht regulär noch eine Landtagswahl an, im nächsten Jahr fol­gen drei:

  • Wahl zum 19. Landtag des Landes Niedersachsen am 9. Ok­to­ber 2022 (Koalition bis­lang: SPD, CDU),
  • Wahl zur 21. Bürgerschaft der Freien Hansestadt Bremen am 14. Mai 2023 (Koalition bis­lang: SPD, Bünd­nis 90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE),
  • Wahl zum 19. Landtag des Freistaates Bayern (Koalition bis­lang: CSU, Freie Wähler) plus Wahl zum 17. Be­zirks­tag von Oberbayern (Koalition bis­lang: CSU, Freie Wähler, SPD) voraus­sicht­lich im Herbst 2023 sowie
  • Wahl zum 21. Landtag des Landes Hessen voraus­sicht­lich im Herbst 2023 (Koalition bis­lang: CDU, Bünd­nis 90/DIE GRÜNEN).

6. Wahlkampf als Chance

Wahlkämpfe zum Erlangen von Mandaten als Kommunikationsprozesse aufgefasst, bie­ten den po­li­ti­schen Ak­teu­ren die Chance, aus Blo­cka­den und Krisen heraus­zu­kom­men. Da­zu er­for­dert diese zeit­lich be­fris­te­te Aus­ein­an­der­set­zung um Zu­stim­mung er­fah­rungs­ge­mäß eine Wahl­kampf­stra­te­gie, wel­che die Pro­zes­se pro­fes­sio­na­li­siert und optimiert.

Mit Blick auf die Wahl zum 19. Landtag des Freistaates Bayern und die Wahl zum 17. Bezirkstag von Oberbayern im Herbst 2023 be­stim­men der Lan­des­vor­stand Bayern der Piraten­partei Deutschland und die Baye­ri­schen Be­zirks­vor­stän­de der PIRATEN die­sen Sommer Struk­tu­ren und Res­sour­cen. Die Haupt­auf­ga­ben des 16. Be­zirks­vor­stan­des Oberbayern in der Amts­perio­de 2022—2023 wer­den sein, die Wahl­teil­nah­men zu sichern über das Sammeln von Un­ter­stüt­zungs­un­ter­schrif­ten, Kan­di­da­tu­ren zu för­dern, Auf­stel­lungs­ver­samm­lun­gen den Weg zu ebnen, im par­tei­in­ter­nen Dialog Po­si­tio­nie­rungs­maß­nah­men für den Bezirk fest­zu­le­gen und die Wahl­kam­pag­ne 2023 an­zu­schie­ben. Die­se Auf­ga­ben sind an­ge­sichts der Krisenzeit keine leich­ten, mit Friedrich Merz ge­spro­chen: „aber lösbar“.

Klarmachen zum Ändern!

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