München — „Wer inhaltlich gestalten will, braucht Einfluss – eine Partei benötigt Mandate“, betont der Digitalpolitiker Dr. Olaf Konstantin Krueger. „Das sozialdigitale Werteset der Piratenpartei Deutschland ermöglicht auch bei komplexen Themen einprägsame und gut vermittelbare Aussagen“, erläuterte Krueger auf dem Bezirksparteitag Oberbayern 2022.1 der Piratenpartei Deutschland in der Münchener Landesgeschäftsstelle. Die kommenden Wahlen zum 17. Bezirkstag von Oberbayern und zum 19. Landtag des Freistaates Bayern sollten die PIRATEN als Kommunikationsprozesse auffassen: Sie böten den politischen Akteuren die Chance, Positionen zu konkretisieren sowie Blockaden und Krisen zu überwinden.
Wegweiser
- Einführung
- „Neue Normalität“: Krisenzeit
- Potenzial der Digitalisierung
- Sozialdigitales Werteset der Piratenpartei
- Wahlergebnisse der Piratenpartei
- Wahlkampf als Chance
1. Einführung
Ahoi PIRATEN, werte Parteifreunde, sehr geehrte Gäste, geschätzte Medienvertreter! Der Bezirksverband Oberbayern der Piratenpartei Deutschland freut sich, Sie in der Landesgeschäftsstelle München zum Bezirksparteitag Oberbayern 2022.1 begrüßen zu können. Die Tagesordnung ist in drei Abschnitte gegliedert. Wir diskutieren erstens die Tätigkeits- und Rechenschaftsberichte 2021—2022 des amtierenden 15. Bezirksvorstandes, befinden zweitens im Blick zurück über die Parteiarbeit während der Corona-Krise 2021/2022 respektive des Beginns der kriegerischen Eskalation im Ukraine-Konflikt 2022 und wählen drittens mit Blick voraus den 16. Bezirksvorstand für die Amtsperiode 2022—2023. Ein Dank geht an die Netzwerker in der PiratenIT und an die Redakteure der PIRATEN-Publikation „Flaschenpost“.
2. „Neue Normalität“: Krisenzeit
Die Zeiten sind herausfordernd, die wirtschaftlichen Aussichten trübe, die Prognosen pessimistisch.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet in diesem Jahr nur noch mit einem globalen Wachstum von 3,2 Prozent. In Deutschland soll das Bruttoinlandsprodukt (BIP) lediglich um 1,2 Prozent wachsen. In den Industriestaaten werde die Teuerungsrate im Durchschnitt 6,6 Prozent betragen, in den Schwellen- und Entwicklungsländern gar 9,5 Prozent. Der IWF warnt zudem vor einer verschärften Nahrungsmittelkrise. Die Prognose verweist auf mehrere Schocks, die auf eine durch die Corona-Krise geschwächte Wirtschaft träfen. So beeinträchtigten die Lockdowns in der Volksrepublik China die globalen Lieferketten und der Ukraine-Konflikt die großen europäischen Volkswirtschaften.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat wegen der Rekordinflation die Negativzinsen abgeschafft, erstmals seit elf Jahren die Zinsen auf 0,5 Prozent angehoben und eine Serie von Zinserhöhungen angekündigt. Nach Einschätzung der Bundesbank hat die deutsche Wirtschaftsleistung im Frühjahr 2022 stagniert. Im Resümee belaste die hohe Teuerung die Kaufkraft der privaten Haushalte und die Ungewissheit bezüglich der künftigen Energieversorgung dämpfe die Konsumlaune.
Beim Konsumklima in Deutschland verzeichnet das Nürnberger Konsumforschungsunternehmen GfK ein Allzeittief: Bewegt sich die Kurve der Konsumstimmung üblicherweise stabil um einen Wert von 10, so fiel sie während des ersten Lockdowns auf einen Tiefpunkt von etwa minus 24 und wird im August noch weiter auf minus 30,6 sinken. Das ist der schlechteste seit Beginn der Erhebung der Verbraucherstimmung für Gesamtdeutschland im Jahr 1991 gemessene Wert. Die Gründe sieht die GfK in unterbrochenen Lieferketten, dem Ukraine-Konflikt, stark steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen, der Inflation, erheblichen Sorgen um das Einkommen sowie Befürchtungen um eine reduzierte Gasversorgung von Wirtschaft und privaten Haushalten im nächsten Winter.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) warnt überdies vor mehr Zwangsversteigerungen wegen der Inflation und der Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB): Sobald die Zinsbindung bei Hypotheken endete, würden die Rückzahlungen spürbar nach oben getrieben werden, was Schuldner finanziell überfordern könne. Im Juni lag die Inflationsrate in der Bundesrepublik Deutschland laut Statistisches Bundesamt (Destatis) bei 7,6 Prozent, im Juli könnte sie 7,5 Prozent betragen.
Zugleich sollen Behörden, Unternehmen und Bevölkerung wegen knapper werdender Energieressourcen und mit Blick auf die Abschaltung der letzten drei deutschen Kernkraftwerke Ende des Jahres weniger Energie verbrauchen. So schlägt beispielsweise die „Deutsche Gesellschaft für das Badewesen (DGfDB)“ für den Fall, dass die Energielieferungen an Schwimmbäder deutlich reduziert werden, mehrere Maßnahmen vor: Diese reichen von der Absenkung der Beckenwassertemperaturen über die Außerbetriebnahme mit fossiler Energie beheizter Freibäder bis hin zur Schließung von Freizeitbädern ohne kommunale Pflichtaufgaben oder von Bädern in therapeutischen Einrichtungen und Kliniken. In Regensburg wurde bereits die Heiztemperatur in Sporthallen und Büros reduziert, städtische Bedienstete sollen wie in Nürnberg und Würzburg wieder mobil oder im Homeoffice arbeiten. Die Mindesttemperatur in Münchener Freibädern und bei Außenbecken der Hallenbäder wurde um zwei Grad auf 22 °C gesenkt. Und in der Münchener Stadtverwaltung fließt nur noch kaltes Wasser. Robert Habeck, MdB (Bündnis 90/DIE GRÜNEN), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz im Kabinett Scholz I, hat schon Ende Juni nahegelegt, kürzer zu duschen. Und Katrin Göring-Eckardt, MdB (Bündnis 90/DIE GRÜNEN), empfiehlt aktuell, „kurz duschen, ausmachen, einseifen, abwaschen, fertig“. Koinzident verzeichnet Google einen außerordentlich starken Anstieg bei Suchanfragen nach Brennholz, Heizstrahlern und Propangasflaschen für den Winter.
Derzeit ist der Deutsche Bundestag für zwei Monate in der Sommerpause – vom 9. Juli bis einschließlich 4. September finden keine Sitzungen statt. Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages mahnt gleichwohl: „Wir sollten uns bewusst machen: Die notwendigen Einschränkungen wegen des Krieges sind nur der Anfang. Die Klimakrise wird uns noch viel mehr Einschränkungen abverlangen.“ Göring-Eckardt fügt an: „Unser Leben wird sich verändern, ob wir wollen oder nicht. Die Ressourcen des Planeten sind endlich. Endloses Wachstum kann es folglich nicht geben. Bislang ging es bei der Definition um Wohlstand nur um das Bruttoinlandsprodukt und Wachstum. Künftig wird für Wohlstand auch entscheidend sein, ob ein Land eine gute Klimabilanz und ein funktionierendes Bildungs- und Gesundheitssystem hat.“
Indessen konkretisieren sich die neuen restriktiven behördlichen Corona-Maßnahmen von Herbst 2022 bis Ostern 2023. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) schaltet derzeit Anzeigen zur „Sommerwelle“ und rechnet wegen der ansteckenderen Virusvariante BA.5 nach dem Sommer mit einer „prekären Situation“. Die Bundesländer drängen auf größere Eingriffsmöglichkeiten in die Grundrechte via „Instrumentenkasten“, was Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) über Twitter begrüßt: „Die Bundesländer müssen bei den Schutzmaßnahmen entfesselt werden“. Ohne taugliche Maßnahmen würde die Lage „katastrophal“, insbesondere, wenn das Klinikpersonal ausfalle: „Das ist wie eine Kerze, die an beiden Enden brennt.“ Und für den Vorsitzenden des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, hat der „Instrumentenkasten“ auch Lockdowns zu inkludieren, denn: „Ein Infektionsschutzgesetz soll Chancen eröffnen und Leben retten.“ Unterdessen ist eine weitere millionenschwere Impfkampagne in Vorbereitung und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat den Affenpocken-Ausbruch zu einer „Notlage von internationaler Tragweite“ erklärt.
Wohlgemerkt: Die bisherigen Corona-Maßnahmen haben bereits zum höchsten jemals gemessenen staatlichen Schuldenstand geführt: Nach neuen Zahlen des Statistischen Bundesamtes ist die öffentliche Verschuldung zum Jahresende 2021 gegenüber dem Jahresende 2020 um 6,8 Prozent oder 148,3 Milliarden Euro gestiegen. Ende 2021 war der Bund mit 1.548,5 Milliarden Euro verschuldet. Der Schuldenstand stieg gegenüber dem Jahresende 2020 um 10,3 Prozent beziehungsweise 145,0 Milliarden Euro. Umgerechnet auf die Einwohnerzahl Deutschlands betrug die Pro-Kopf-Verschuldung 18.627 Euro (2020: 16.884 Euro). Die Schulden der Länder sind im Vorjahresvergleich um 0,4 Prozent/2,5 Milliarden Euro auf 638,5 Milliarden Euro gestiegen. Die Verschuldung der Gemeinden und Gemeindeverbände wuchs im Vorjahresvergleich um 0,6 Prozent/0,8 Milliarden Euro auf 134,2 Milliarden Euro. Übrigens: Je höher die Inflation, desto weniger wert sind die Zahlungsverpflichtungen des Staates.
Im politischen Alltag allerdings wünscht sich der Oppositionsführer im 20. Deutschen Bundestag und Bundesvorsitzende der CDU, Friedrich Merz, von der Union mehr Zuversicht und Optimismus. Zum Abschluss der CSU-Klausur in Kloster Banz erklärte Merz kürzlich: „Wir schätzen die Lage übereinstimmend als kritisch ein, aber lösbar. Wir teilen die Auffassung, dass es keinen Sinn macht, nun jedes Jahr das Land mit Schreckensnachrichten zu überziehen, wie furchtbar das alles wird mit Corona und Öl und Gas und Kohle.“
Und so wird bei sommerlichen Temperaturen auf Partys, Paraden und Volksfesten eng gefeiert, der Nah- und Regionalverkehr ist dank 9-Euro-Ticket an der Belastungsgrenze und zu Ferienbeginn sind Bayerns Autobahnen blockiert wie vor der Corona-Krise. Marktforscher erklären dies freilich mit einem Nachholbedarf infolge des Aussetzens der restriktiven Corona-Maßnahmen. Die hohe Inflationsquote verändert laut GfK zudem das Ausgabeverhalten. Bei Produkten des täglichen Bedarfs wie Lebensmitteln werde gespart, belegbar am Mengenrückgang. Die Buchungszahlen für private Urlaubsreisen hingegen seien in der aktuellen Sommersaison vergleichbar mit jenen des Jahres 2019. Dies bestätigt auch DER Touristik Zentraleuropa. Einer Auswertung des Buchungs- und Reiseverhaltens zufolge lassen sich die Reisenden den Urlaub in diesem Sommer auch mehr kosten, geben im Schnitt 51 Prozent mehr für einen Hotelaufenthalt aus, buchen höhere Hotelkategorien und mehr All-Inclusive-Verpflegung. Der ADAC meldet zu Beginn der Sommerferien wieder lange Staus auf Bayerns Autobahnen. Und selbst die Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern beschäftigt nachhaltiger Tourismus.
3. Potenzial der Digitalisierung
Blenden wir kurz Wirtschaftskrise, Ukraine-Konflikt und Corona-Krise aus und fokussieren uns auf die Digitalisierung – und freuen wir uns: Deutschland ist wieder Fußball-Weltmeister geworden. Diesmal im „Humanoid AdultSize Soccer“. Bei der RoboCup-Weltmeisterschaft vom 13. Juli bis 16. Juli in Bangkok, Thailand, hat das Team der Universität Bonn den Titel erfolgreich gegen das Team der Hanyang University, Korea, verteidigt. Die menschähnlichen Fußballroboter wurden in der Arbeitsgruppe „Autonome Intelligente Systeme“ des Instituts für Informatik entwickelt, welches von Prof. Dr. Sven Behnke geleitet wird. Sie konnten mit verbessertem Sichtsystem und weiterentwickelter Software zahlreiche Zweikämpfe gewinnen und den Ball zügig im gegnerischen Tor versenken. Bis zur Mitte des Jahrhunderts sollen sich die Fußballroboter sogar gegen den dann amtierenden menschlichen Weltmeister behaupten können. Für Behnke ist bereits klar: „Roboter, die sich schnell und robust auf zwei Beinen fortbewegen können, wären auch für zahlreiche Anwendungen nützlich, zum Beispiel in unseren Alltagsumgebungen.“
Womit wir mitten in der Spitzenforschung über Künstliche Intelligenz (KI), Maschinelles Lernen (ML) und Robotik sind – bei deren Potenzial für Automation, Rationalisierung, Datenanalyse, Modellierung, vorausschauende Instandhaltung, bei den Fragen zur Transparenz von Algorithmen, zur Technikfolgenabschätzung und zu ethischen Standards unter der Prämisse, dass die Maschinen das menschliche Ziel nachweislich maximieren.
Der Freistaat Bayern fördert diese Spitzenforschung seit Anfang Oktober 2019 durch eine bundesweit einzigartige Technologieoffensive über die „Hightech Agenda Bayern“ und die „Hightech Agenda Plus“ mit insgesamt 3,5 Milliarden Euro. So hat das Leibniz-Rechenzentrum (LRZ) der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in Garching Ende Mai den bis dato weltweit größten Chip mit 850.000 Rechenkernen vorstellen können: Das Cerebas CS-2-System liefert die nötige Rechenkapazität, um große Datenvolumina mit KI und ML auszuwerten, beispielsweise zur Verarbeitung natürlicher Sprache (Natural Language Processing, NLP), zur Analyse medizinischer Bilder, zur Simulation von Strömungsverläufen (Computational Fluid Dynamics, CFD) in der Luft- und Raumfahrttechnik sowie der Fertigung.
4. Sozialdigitales Werteset der Piratenpartei
Solche stellvertretend und kursorisch angeführten technologischen Innovationen erfordern sowohl wissenschaftliche Begleitung als auch politische Gestaltung – und gesellschaftliche Offenheit für digitale Technologien.
Repräsentative Studien belegen die allgemeine Offenheit für digitale Technologien. So zuletzt eine Studie im Auftrag der Initiative „Digital für alle“ anlässlich des dritten bundesweiten Digitaltags am 24. Juni 2022. Danach stehen neun von zehn Befragte (88 Prozent) digitalen Technologien positiv gegenüber. Für 89 Prozent sind sie aus dem eigenen Leben nicht mehr wegzudenken. Und für 80 Prozent erleichtern sie das Leben. Zugleich sieht eine Mehrheit (58 Prozent) eine „digitale Spaltung“ und befürchtet, dass nicht alle Menschen in gleichem Maße vom technologischen Fortschritt profitieren. Schließlich wünschen sich acht von zehn Befragte (83 Prozent) eine Förderung der digitalen Medien- und Informationskompetenzen über die gesamte Bildungskette hinweg.
Diese Ergebnisse dürften der technophilen Piratenpartei Deutschland zupasskommen, begrüßt sie doch programmatisch und politisch die digitale Transformation, akzentuiert dabei Erhalt und Stärkung der Bürgerrechte – insbesondere informationelle Selbstbestimmung, Privatsphäre, Datenschutz, digitale Souveränität und Teilhabe –, und verneint Zensur- und Überwachungsbestrebungen – etwa Uploadfilter, verdachtsunabhängige Vorratsdatenspeicherung und biometrische Datenbanken.
Dieses sozialdigitale Werteset ermöglicht auch bei komplexen Themen einprägsame und gut vermittelbare Aussagen. Dies verdeutlichen sechs Beispiele:
- Der verpflichtende Einsatz einer vollautomatisierten anlasslosen „Chatkontrolle“ hebelt die sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von Messenger-Diensten aus und kann zur Massenüberwachung mißbraucht werden.
- Die Regulierung der Kryptowährungen mit obligatorischer Überwachung aller Wallets und Identifizierungsanforderung schränkt die finanzielle Freiheit gesetzestreuer Bürger ein – auch Whistleblower Edward Snowden warnt entschieden vor digitalen staatlichen Währungen und der Abschaffung des Bargelds.
- Das umfassende Regulierungspaket für Online-Plattformen mittels der beiden EU-Verordnungen „Gesetz über digitale Märkte“ (Digital Markets Act, DMA) und „Gesetz über digitale Dienste“ (Digital Services Act, DSA) schützt weder die freie Meinungsäußerung noch die Privatsphäre im Netz.
- Der „Europäische Raum für Gesundheitsdaten“ (European Health Data Space, EHDS) als Binnenmarkt für digitale Gesundheitsdienste und -produkte muss vor dem Abfluss hochsensibler Gesundheitsinformation geschützt werden (Stichworte: Cyberangriffe, Datenlecks, Abverkäufe).
- Die weitreichenden Grundrechtseinschränkungen in den letzten zweieinhalb Jahren der Corona-Krise gefährden den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat.
- Die vom EU-Parlament im Mai verabschiedete Sperrklausel von mindestens 3,5 Prozent hebelt Urteile des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Verfassungswidrigkeit solcher Hürden aus und benachteiligt Kleinparteien bei der EU-Wahl im Frühjahr 2024.
5. Wahlergebnisse der Piratenpartei
Technophilie und bürgerrechtsorientierte Digitalpolitik reichen jedoch gerade in Krisenzeiten nicht aus, um Widerhall in Mainstreammedien und bei Wahlen zu finden: Wer inhaltlich gestalten will, braucht Einfluss – eine Partei benötigt Mandate.
Die Achtungserfolge der Piratenpartei in den 2000er-Jahren ließen sich in der Wirtschafts- und Finanzkrise (ab 2007) sowie der Eurokrise (ab 2009) in den 2010er-Jahren nicht fortsetzen, obschon
- Digitalthemen Teil des gesellschaftspolitischen Diskurses waren – Beispiele: Urheberrecht in der Informationsgesellschaft, schnelles Internet, flächendeckende und hochleistungsfähige Mobilfunkabdeckung, Netzneutralität, Cybersicherheit, digitale Verwaltung,
- PIRATEN erfolgreich Kampagnen anschoben – Beispiele: WLAN-Störerhaftung, EU-Urheberrechtsrichtlinie, und
- Mitglieder in Einzelfragen mit anderen Kleinparteien kooperierten sowie Parteigänger partiell auf offenen Listen für Kommunalparlamente kandidierten.
Medienwirksame Auseinandersetzungen schwächten, ideologische Grabenkämpfe blockierten und spektakuläre Parteiwechsel verunsicherten PIRATEN, Anhänger und Öffentlichkeit. Das Betonen programmatisch randständiger Themen überlagerte die Kernanliegen der Piratenpartei, verwässerte Profil und Kommunikation. Schließlich dominierte ab 2015 die Migrationskrise die Debatten.
Anfang der 2020er-Jahre beschränkten die restriktiven behördlichen Corona-Maßnahmen wie FFP2-Maskenpflicht, Social Distancing, Ausgangssperre, Quarantäne und Lockdowns die Öffentlichkeitsarbeit, insbesondere das Veranstaltungsmanagement. Damit war ein wesentlicher Weg blockiert, Themen zu setzen, Deutungshoheit zu erlangen, Zielgruppen zu erreichen und Botschaften zu verbreiten.
Im Jahr 2021 wurden fünf Landtage und der Deutsche Bundestag neu gewählt. Bei allen Urnengängen erhielten die PIRATEN unabhängig von der jeweiligen Wahlkampfstrategie maximal 0,5 Prozent. Die Ergebnisse der PIRATEN im Einzelnen:
- Wahl zum 17. Landtag des Landes Baden-Württemberg am 14. März 2021: 2.878 Stimmen/0,1 Prozent (Wahlbeteiligung: 63,8 Prozent; Koalition: Bündnis 90/DIE GRÜNEN, CDU),
- Wahl zum 18. Landtag des Landes Rheinland-Pfalz am 14. März 2021: 10.393 Landesstimmen/0,5 Prozent (Wahlbeteiligung: 64,3 Prozent; Koalition: SPD, Bündnis 90/DIE GRÜNEN, FDP),
- Wahl zum 8. Landtag des Landes Sachsen-Anhalt am 6. Juni 2021: 3.815 Zweitstimmen/0,4 Prozent (Wahlbeteiligung: 60,3 Prozent; Koalition: CDU, SPD, FDP),
- Wahl zum 8. Landtag des Landes Mecklenburg-Vorpommern am 26. September 2021: 3.706 Zweitstimmen/0,4 Prozent (Wahlbeteiligung: 70,8 Prozent; Koalition: SPD, DIE LINKE),
- Wahl zum 19. Abgeordnetenhaus des Landes Berlin am 26. September 2021: 7.440 Zweitstimmen/0,4 Prozent (Wahlbeteiligung: 75,4 Prozent; massive Unregelmäßigkeiten; Koalition: SPD, Bündnis 90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE),
- Wahl zum 20. Deutschen Bundestag am 26. September 2021: 169.923 Zweitstimmen/0,4 Prozent (Wahlbeteiligung: 76,6 Prozent; Koalition: SPD, Bündnis 90/DIE GRÜNEN, FDP).
Die drei bisherigen Landtagswahlen in 2022 waren allgemein Prüfsteine für die neue Bundesregierung aus SPD, Bündnis 90/DIE GRÜNEN und FDP sowie für die oppositionelle CDU/CSU und die AfD. Die Ergebnisse der PIRATEN hier:
- Wahl zum 17. Landtag des Landes Saarland am 27. März 2022: 1.318 Zweitstimmen/0,3 Prozent (Wahlbeteiligung: 61,4 Prozent; Alleinregierung der SPD),
- Wahl zum 20. Landtag des Landes Schleswig-Holstein am 8. Mai 2022: 4.753 Zweitstimmen/0,3 Prozent (Wahlbeteiligung: 60,3 Prozent; Koalition: CDU, Bündnis 90/DIE GRÜNEN),
- Wahl zum 18. Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen am 15. Mai 2022: 19.248 Zweitstimmen/0,3 Prozent (Wahlbeteiligung: 55,5 Prozent; Koalition: CDU, Bündnis 90/DIE GRÜNEN).
In diesem Jahr steht regulär noch eine Landtagswahl an, im nächsten Jahr folgen drei:
- Wahl zum 19. Landtag des Landes Niedersachsen am 9. Oktober 2022 (Koalition bislang: SPD, CDU),
- Wahl zur 21. Bürgerschaft der Freien Hansestadt Bremen am 14. Mai 2023 (Koalition bislang: SPD, Bündnis 90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE),
- Wahl zum 19. Landtag des Freistaates Bayern (Koalition bislang: CSU, Freie Wähler) plus Wahl zum 17. Bezirkstag von Oberbayern (Koalition bislang: CSU, Freie Wähler, SPD) voraussichtlich im Herbst 2023 sowie
- Wahl zum 21. Landtag des Landes Hessen voraussichtlich im Herbst 2023 (Koalition bislang: CDU, Bündnis 90/DIE GRÜNEN).
6. Wahlkampf als Chance
Wahlkämpfe zum Erlangen von Mandaten als Kommunikationsprozesse aufgefasst, bieten den politischen Akteuren die Chance, aus Blockaden und Krisen herauszukommen. Dazu erfordert diese zeitlich befristete Auseinandersetzung um Zustimmung erfahrungsgemäß eine Wahlkampfstrategie, welche die Prozesse professionalisiert und optimiert.
Mit Blick auf die Wahl zum 19. Landtag des Freistaates Bayern und die Wahl zum 17. Bezirkstag von Oberbayern im Herbst 2023 bestimmen der Landesvorstand Bayern der Piratenpartei Deutschland und die Bayerischen Bezirksvorstände der PIRATEN diesen Sommer Strukturen und Ressourcen. Die Hauptaufgaben des 16. Bezirksvorstandes Oberbayern in der Amtsperiode 2022—2023 werden sein, die Wahlteilnahmen zu sichern über das Sammeln von Unterstützungsunterschriften, Kandidaturen zu fördern, Aufstellungsversammlungen den Weg zu ebnen, im parteiinternen Dialog Positionierungsmaßnahmen für den Bezirk festzulegen und die Wahlkampagne 2023 anzuschieben. Diese Aufgaben sind angesichts der Krisenzeit keine leichten, mit Friedrich Merz gesprochen: „aber lösbar“.
Klarmachen zum Ändern!
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