Berlin / München — Die Piratenpartei Deutschland nimmt an der Wahl des 20. Deutschen Bundestags am 26. September 2021 teil: Der Bundeswahlausschuss hat sie zugelassen. Damit sie bundesweit wählbar ist, sammeln die PIRATEN noch in fünf der 16 Bundesländer Unterstützungsunterschriften. Dr. Olaf Konstantin Krueger, Vorsitzender des Bezirksverbandes Oberbayern, erklärt die Bedeutung der Wahlteilnahme für die PIRATEN unter den Bedingungen der Corona-Krise und betont die strategische Notwendigkeit einer konsolidierten, proaktiven und sozialen Digitalpolitik.
Gegründet am 10. September 2006, hat die Piratenpartei Deutschland vom Bundeswahlausschuss nach 2009, 2013 und 2017 in diesem Jahr erneut die Zulassung zur Bundestagswahl erhalten. Hintergrund: Sogenannte „nicht etablierte Parteien“ müssen als Voraussetzung zur Teilnahme an der anstehenden Bundestagswahl ihre Wahlbeteiligung gegenüber dem Bundeswahlleiter aktiv anzeigen. Der Bundeswahlausschuss entscheidet spätestens am 79. Tag vor dem Urnengang über deren Parteieigenschaft. So hatten bis zum 9. Juli insgesamt 87 Parteien und politische Vereinigungen ihre Beteiligung angezeigt, 53 erfüllten laut Bundeswahlausschuss die formalen Voraussetzungen.
An der letzten Bundestagswahl vom 24. September 2017 nahmen von den 48 zugelassenen Parteien letztlich 42 mit eigenen Wahlvorschlägen teil, zumal nicht etablierte Parteien eine weitere administrative Hürde nehmen müssen: Eine gesetzlich festgelegte Anzahl von Wahlberechtigten muss den Wahlvorschlag auf amtlichen Formblättern per Unterstützungsunterschrift befürworten. Dadurch sollen nur ernsthafte Vorschläge zur Wahl stehen, die eine nennenswerte Zahl von Befürwortern im Wahlvolk aufweisen. Letzter Tag zum Einreichen der Unterstützungsunterschriften für Kreiswahlvorschläge und Landeslisten ist der 69. Tag vor dem Urnengang, heuer der 19. Juli, 18 Uhr. In Bayern hat die Piratenpartei diese Hürde bereits übersprungen, der Landeswahlleiter hat die von den PIRATEN gesammelten Unterstützungsunterschriften als hinreichend anerkannt. Die Landesverbände in Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt sammeln noch Unterstützungsunterschriften.
Parteiarbeit und Wahlkampf in der Corona-Krise
Die PIRATEN wollen an ihre parlamentarischen Erfolge der 2010er-Jahre anknüpfen. Die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag findet allerdings unter neuen Bedingungen statt: Corona-Krise, Grundrechtseinschränkungen, gesellschaftliche Spaltung und hybrider Bundestagswahlkampf stellen die Piratenpartei vor spezielle Herausforderungen.
Obschon hybride und virtuelle Formate zur DNA der PIRATEN gehören, hat das reduzierte öffentliche Leben mit Kontaktbeschränkungen und Quarantänen die Parteiarbeit der PIRATEN während der Lockdowns vor besondere Anforderungen gestellt. Unter den Bedingungen der behördlich angeordneten Corona-Maßnahmen
- den bayerischen Kommunalwahlkampf im März 2020 zu führen,
- den Landesparteitag Bayern 2020.1 mit Vorstandsneuwahl sowie die Aufstellungsversammlung der bayerischen Landesliste für die Bundestagswahl Anfang September 2020 in Lauf an der Pegnitz auszurichten,
- den hybriden Bundesparteitag 2021.1 mit Vorstandsneuwahl Anfang Mai 2021 zu organisieren und
- bayernweit Unterstützungsunterschriften beizubringen,
war kein leichtes Unterfangen. Wenngleich die Piratenpartei seit ihrer Gründung routiniert Online-Sitzungen, Videostreams und Cryptopartys ausrichtet, ist sie im weiterhin wahlentscheidenden Nahbereich der analogen Politik 1.0 in erheblichem Maße auf den direkten Kontakt unter den Parteimitgliedern und mit den Bürgern angewiesen. Wächst in der Corona-Krise zudem die Zahl der Briefwähler signifikant, könnte die Stimmabgabe vielfach bereits ab Mitte August erfolgen, was den Zeitraum des unter Wahrung der Abstands- und Hygienemaßnahmen zu führenden Haustür- und Straßenwahlkampfes schmälert.
Beim Online-Wahlkampf wiederum haben die etablierten Parteien mit ihren Vorfeldorganisationen und ausgedehnten Netzwerken in den letzten beiden Legislaturperioden dank Millioneninvestitionen und fachgerechter IT-Unterstützung stark aufgeholt. Ihre Social Media-Kampagnen sind inzwischen professionell, ihr Framing atemberaubend. Doch was für die Digitalisierung gilt, stimmt auch für den hybriden Wahlkampf: Analoge Formate lassen sich nicht eins zu eins ins Digitale übertragen.
Beispiel: Die Piratenpartei Deutschland will die direkten und indirekten demokratischen Mitbestimmungsmöglichkeiten eines jeden steigern und dessen Partizipation fördern. Dazu setzen die PIRATEN von vornherein auf barrierefreie digitale Kommunikation in der Breite und souveräne Teilhabe am digitalen Leben. Apps sind lediglich zweckdienliche Tools – und die Tool-Debatten der PIRATEN sind legendär. Das schließt allerdings Politiksimulation aus – etwa ins Politainment abgleitende virtuelle Parteitage, bei denen inszenierte Wortwechsel aus dem Greenscreen-Studio gestreamt oder Reden vom Teleprompter im menschenleerem Saal aufgezeichnet werden. PIRATEN halten den direkten Dialog mit dem Bürger für unverzichtbar.
Flickschusterei in der Digitalisierung beenden
Inhaltlich adressiert die Piratenpartei Deutschland im Bundestagswahlkampf 2021 erneut den Digitalen Wandel, will ihn verantwortlich mitgestalten. Hauptthema sind nach einer parteiinternen LimeSurvey Ende April die Freiheits- und Grundrechte im Kontext des Querschnittsthemas Digitalisierung.
Aus digitalpolitischer Sicht wirkt die Corona-Krise auf zweierlei Weise: Einerseits offenbart sie den Murks der bisherigen Digitalisierung (Großbaustellen: Telekommunikationsinfrastruktur, Energiewirtschaft, eoGovernment, eHealth, Bildungswesen, Mobilität etc.), andererseits katalysiert sie die digitale Transformation punktuell (Stichworte: Homeschooling, Homeoffice, Online-Shopping, Contact Tracing etc.).
Fakt ist: Der Digitalisierungsgrad des Hightech-Standortes Deutschland liegt im europäischen Vergleich nur im Mittelfeld, besagt der Digital Economy and Society Index (DESI) der EU-Kommission. Auch nach dem D21-Digital-Index, dem jährlichen Lagebild zur Digitalen Gesellschaft, befindet sich der Digitalisierungsgrad im mittleren Feld. Beachtlich: Höher Gebildete und Menschen mit Schreibtischtätigkeit sind vermehrt digitale Vorreiter, wohingegen Menschen mit niedriger formaler Bildung und ohne Berufstätigkeit Gefahr laufen, weiter abgehängt zu werden.
Strategisches Ziel der PIRATEN wird dementsprechend sein, die Flickschusterei bei der digitalen Transformation zu beenden und die Digitalisierung zu humanisieren. Darüber hinaus beobachtet und thematisiert die Piratenpartei Deutschland die zunehmenden Gefahren für Datenschutz und Informationssicherheit, beispielsweise die Einführung rechtswidriger biometrischer Massenüberwachungspraktiken und -technologien sowie die automatisierte verdachts- und anlasslose Inhaltedurchsuchung privater Kommunikation.
Für den Bezirksverband Oberbayern nehmen die Kommunen im Wirkungsgeflecht zwischen Europa-, Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik eine Schlüsselposition ein: Sie können den Erneuerungsprozess ausbremsen oder voranbringen. Eine konsolidierte, proaktive und soziale Digitalpolitik vermag dann erfolgreich zu sein, wenn sie alle politischen Ebenen und Akteure bewegen kann, in Dependenzen zu denken. So setzen sich die Digitalpolitiker in den Kommunen beispielsweise für den flächendeckenden Breitbandausbau ein, für die zügige Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) und für Digitalisierungsstrategien aus einem Guss. In diesem Sinne begreifen und empfehlen sich die PIRATEN als politische Changemanager, wollen als Schrittmacher mit Expertise fungieren. Deshalb sollte die Stimmabgabe zur Wahl des 20. Deutschen Bundestags weniger von strategischen denn von inhaltlichen Überlegungen geleitet sein.
Klarmachen zum Ändern!
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