München – „Der Vorwahlkampf ist eingeläutet“, betont Roland Jungnickel, Bezirksvorsitzender der Piratenpartei Oberbayern. „Noch während die Parteien ihre Kandidaten für die Wahlen im kommenden Jahr aufstellen, versuchen schon manche Etablierte, uns inhaltlich auszukegeln.“ Aktuelles Beispiel sei der Vorstoß der SPD-Ortsvereine in Tegernsee beim Thema „Liquid Democracy“, einer Mischform zwischen repräsentativer und direkter Demokratie, bei der jeder seine Stimme zeitweise flexibel delegieren kann.
So plädiert der Tegernseer SPD-Ortsvorsitzende und Gemeinderat Thomas Mandl in der Kommunalpolitik für mehr Transparenz, direkte Bürgerbeteiligung und Meinungsbildung über das Internet. Mandl setzt sich überdies für Liquid Democracy ein. Die SPD des Tegernseer Tals bot hierzu kürzlich sogar eine Informationsveranstaltung. Sekundiert wurde Mandl von Daniel Reichert, Geschäftsführer des Berliner Vereins Liquid Democracy.
„Die örtliche Presse notierte jedoch, dass sich das Interesse in Grenzen hielt,“ konstatiert Jungnickel, der das neuerliche Engagement einiger SPD-Kommunalpolitiker zwar begrüßt, in der Gesamtschau aber kritisch bewertet. „Bürgerbeteiligung und Transparenz sind unbestritten Kernthemen der Piratenpartei, die Instrumente wie Liquid Feedback seit Jahren auf ihre Alltagstauglichkeit hin prüft und nutzt.“ Jungnickel kann jedoch keine klare Position der SPD in der Netzpolitik erkennen: „Einerseits kopieren manche SPD-Politiker vor Ort unsere basisdemokratischen Forderungen, andererseits kokettiert ihr Kanzlerkandidat Peer Steinbrück offen mit seiner Abwehrhaltung gegenüber dem Netz im Allgemeinen und Liquid Democracy im Besonderen und unterstellt der Piratenpartei obendrein Ahnungslosigkeit.“
Tatsächlich finden Politikangebote und Forderungen der PIRATEN seit ihren Wahlerfolgen schon vereinzelt Resonanz im kommunalen Politikbetrieb, konstatiert Olaf Konstantin Krueger, Politischer Geschäftsführer der Piratenpartei Oberbayern. Der Politikwissenschaftler und promovierte Journalist verweist auf Pilotprojekte wie jenes in Friesland, wo die Bürgerbeteiligung durch „Liquid Friesland“ gesteigert werden soll und selbst Verwaltung und Kreistag dahinter stünden.
Krueger nennt auch die Liveübertragung von Gemeinde- und Stadtratssitzungen im Internet, wie sie Passau, Pfaffenhofen und Jena realisiert haben. „Doch das sind bislang Ausnahmen.“ Meistens würden die Räte wie in Erlangen das Live Video Streaming mehrheitlich ablehnen.
In Oberbayern begründet Wasserburg seine Zurückhaltung mit der Furcht vor „Fensterreden“, Rosenheim äußert sogar Datenschutzbedenken. In Bruckmühl und Bad Aibling steht das Thema gar nicht erst zur Debatte. „Eine solche Abwehrhaltung spielt der Piratenpartei letztlich in die Hände“, schätzt Krueger. Denn in Rosenheim wurde nicht einmal der Vorschlag des örtlichen Kreisverbandes der Piratenpartei diskutiert, wenigstens Audio Streaming zuzulassen.
Schon der öffentliche Widerhall am sogenannten „OptOutDay“, an dem Bürger auf Meldeämtern dem behördlichen Handel mit ihren Daten gemeinsam widersprechen sollten, zeuge vom gewandelten Verständnis von Bürger und Staat, erklärt Krueger. Die Politik reagiere jedoch zu zögerlich darauf. Selbst beim freien Informationszugang würden die Kommunen ihre Regelungs- und Leitfunktion kaum wahrnehmen. Krueger: „Die Piratenpartei muss offenbar die mangelhaften Satzungsregelungen zur Informationsfreiheit im Wahlkampf thematisieren, damit gehandelt wird.“
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