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Am 12.11. 2015 hat das Vertrauensgremium des Bundestages in geheimer Verhandlung beschlossen, die Anzahl der Mitarbeiter des Verfassungsschutzes (BfV) um 250 Stellen zu erhöhen. 150 der neuen Verfassungsschützer sollen für die Bekämpfung des Rechtsextremismus eingesetzt werden.
Dies klingt durchaus nach einer sinnvollen Maßnahme, wenn man berechtigterweise annimmt, dass so die Anzahl der durch Rechtsextreme verübten Straftaten effizienter bekämpft werden könnte. Brennende Asylunterkünfte und Anschläge auf Menschen beweisen ja, dass der Handlungsbedarf in Deutschland groß ist.
Doch haben die Untersuchungen rund um die NSU Morde gezeigt, dass der Verfassungsschutz eins nicht als seine Aufgabe ansieht; nämlich die Verbrechensbekämpfung selbst. Viel mehr geht es darum, zahlreiche Informationen zu sammeln und möglichst viel in Erfahrung zu bringen, um Extremisten zu beobachten. Das Hauptziel der Behörde ist – nach § 3 BVerfSchG – der Schutz der Verfassung durch ungebremste Datensammelwut.
Datenschutz beim Verfassungsschutz? Fehlanzeige!
Selbst der Informationsaustausch zwischen den einzelnen Bundesländern lässt zu wünschen übrig, vielleicht, da die Flut der Informationen eine Priorisierung erschwert. Dies musste Bundesinnenminister de Maizière (CDU) erst per Gesetz erzwingen und das Kabinett beschloss auf diesem Wege postwendend, dass alle relevanten Informationen im “Nachrichtendienstlichen Informationssystem” (Nadis) gespeichert werden müssten. Einwände von Datenschützern fanden kein Gehör. In Niedersachsen erbrachte eine Überprüfung den Beweis, dass 9000 Datensätze, somit rund 40%, rechtswidrig gespeichert worden waren. Unter anderem waren auch Daten Minderjähriger, Journalisten und Landtagsabgeordneter darunter.
V-Männer-Quellenschutz rangiert vor Opferschutz
Schlimmer aber ist die Vorgehensweise des Verfassungsschutzes an sich. Hauptsächlich werden in der rechten Szene V-Männer angeworben. Diese werden gut für ihre Spitzeltätigkeit bezahlt. Die verdienten Gelder sind für sie nicht nur steuerfrei, sondern kommen oft der rechten Szene an sich zu Gute. Denn etliche dieser V-Leute sind überzeugte Nazis. Mit Staatsgeldern können sie ihre “Bewegung” finanzieren. Ein berühmtes Beispiel dafür ist Tino Brandt. Er kassierte von 1994 bis 2001 200 000 D-Mark. Das Geld investierte er in den Aufbau der Neonazi-Szene. Und das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz zahlte für ihren “Mitarbeiter” einen minimalen Steuersatz. Dadurch finanziert der Verfassungsschutz selbst “versehentlich” die Verbrechen, vor denen er den Staat schützen will.
Wenn V-Männer sich an Straftaten beteiligen, dürfen sie sich auf den Schutz vor Strafverfolgung verlassen, denn der Verfassungsschutz tut alles Menschenmögliche, damit die ‘Informationsquellen” nicht versiegen. Ein V-Mann sollte eben weder auffliegen, noch im Gefängnis landen. Quellenschutz rangiert beim Verfassungsschutz vor Opferschutz. Auch nach dem neuen Gesetz bleibt Straffreiheit bei kleinen “szenetypischen Delikten” für V-Männer verankert.
Ein bekannt gewordenes Beispiel für die umstrittene Vorgehensweise ist der Fall des Irfan Peci. Er gehörte der Führungsspitze der “Globalen Islamischen Medienfront” (Gimf) an, die im deutschsprachigen Raum Terrorbotschaften und Drohvideos für al-Qaida im Internet veröffentlicht hat. Das Bundesamt für Verfassungsschutz warb ihn als V-Mann an, stellte ihm “Spendengelder” zur Verfügung, die der Terrororganisation zuflossen und als Irfan Peci im Jahr 2010 einen amerikanischen Soldaten zusammenschlug, sorgte der Verfassungsschutz dafür, dass die Straftat nicht gesetzlich verfolgt wurde. Vor Gericht stehende V-Männer bekommen manchmal sogar einen Anwalt vom Verfassungsschutz gestellt. Offenkundig wurde diese Vorgehensweise im Fall von Benjamin G.. Der Verfassungsschutz Hessen zahlte seinem V-Mann nicht nur einen Anwalt, als er im Zuge der NSU Morde befragt wurde, sondern auch Spesen und eine Fahrtkostenerstattung von insgesamt fast 400 €.
Bemerkenswerterweise geschah enttarnten V-Leuten in der rechte Szene bisher nichts. Die „NPD weiß Bescheid, von Anfang an“, erklärte dazu der ehemalige NPD-Funktionär und Spitzel Wolfgang Frenz. Ihm war auch klar, dass sein Parteifreund Udo Holtmann ebenfalls ein V-Mann war. In den letzten zwanzig Jahren sind in Thüringen nur vier Fälle von Drohungen gegen V-Männer bekannt geworden. Lediglich einer der vier wurde körperlich angegriffen.
Dadurch kann man vermuten, dass der rechten Szene die V-Leute gut bekannt waren und ihre Tätigkeit auf Akzeptanz stieß. Schließlich profitierte die Szene ja durchaus davon und den Umfang der Informationen, die ein V-Mann dem Verfassungsschutz hinterbringt, bestimmt er allein. Selbst innerhalb der Behörde verstricken sich Mitarbeiter in dubiose rechtliche Grauzonen. Zum Beispiel war am Tatort des letzten NSU Mordes an Halit Yozgat in Kassel der Verfassungsschützer Andreas T. “zufällig” am Tatort, ohne eine schlüssige Erklärung dafür bitten zu können.
Der Verfassungsschutz kann weg
Die Frage ist unter diesen Umständen, wie bei einem solchen System die Verfassung “geschützt wird”. De facto geht es dem Verfassungsschutz um Informationen – und nur darum. Da alle Informationen und die gesamte Organisation geheim sind und dies auch sein muss, ist der Verfassungsschutz jeglicher Kontrolle entzogen. Besonders rechte Organisationen wurden bisher mit fleißigem Eifer unterwandert. Unter anderem scheiterte das erste NDP- Verbotsverfahren aus dem Jahr 2002 daran, dass bereits so viele V-Leute in Führungspositionen aktiv waren, dass das Gericht in Karlsruhe den Verdacht hatte, sie hätten die Partei stark beeinflusst. Für das jüngst laufende zweite Verbotsverfahren der NPD musste der Bundesrat am 14.5.15 “Belege zur Abschaltung der V-Männer” vorlegen.
Auskünfte für Bürger? Abwarten, aussitzen, abblocken
Anders sieht es aus, wenn Bürgerinnen und Bürger fragen, welche Daten der Verfassungsschutz über sie archiviert hat. Da hat die Behörde viel Zeit – und zwar bis zu sechs Monate! Dieser Zeitrahmen kann sogar überschritten werden und das, obwohl im Jahr 2015 in Berlin gerade eben 214 Menschen eine Auskunft anfragten.
Grundsätzlich müssen Auskünfte nicht erteilt werden. Wer Pech hat, bekommt gerade einmal eine Teilauskunft. Das Gesetz sieht allerhand Hindernisse vor, z.B. den 31 Abs. 2 VSG Bln. Dieser Paragraf enthält die schwammigen Bestimmungen mit deren Begründungen Auskunftsersuche abgelehnt oder nur Teilauskünfte erteilt werden können. Diese reichen von einer “Gefährdung der Aufgabenerfüllung, Gefährdung der Quellen, Gefährdung der Arbeitsweisen oder der berechtigten Interessen Dritter “. Dies zeigte die jüngst veröffentliche Anfrage des Abgeordneten Oliver Höfinghoff der Piratenfraktion Berlin.
Betroffene, die mehr als vier Monate auf eine Auskunft gewartet haben, sollten eine Untätigkeitsklage einreichen. Letzteres kann man nur empfehlen, denn zu Unrecht gespeicherte Datensätze sind keine Seltenheit.
Fazit
Das Land Thüringen hat aus den Erkenntnissen im NSU Prozess Schlüsse gezogen und zumindest den Versuch gewagt, den Verfassungsschutz zu kontrollieren. Daher wurde nicht nur das Budget gekürzt, sondern auch eine parlamentarische Kontrolle durch Eingliederung in das Innenminsterium eingeführt und erklärt, auf V-Männer zu verzichten.
Konsequent ist aber nur die Abschaffung des Verfassungsschutzes – denn so wie der Verfassungsschutz augenblicklich die Verfassung schützt, ist er überflüssig.
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