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Sicherheitpolitik in der Post-Snowden-Ära

PIRATEN-Sicherheitskonferenz #psc15: Logo. CC-BY-SA 3.0 Olaf Konstantin Krueger.

Beitrag erschienen bei der Flaschenpost mit einem Folgebeitrag des Zweiten Tags.

Die AG Außen- und Sicherheitspolitik will mit ihrer Konferenz “Sicherheit nach Snowden” klären, welches die Bedrohungen nach dem kalten Krieg sind, wie wir unsere Infrastruktur schützen und ausbauen können und auch, was eigentlich unter dem Begriff “Terrorismus” zu verstehen ist. In den Münchner Ringstudios trafen sich rund 70 Teilnehmer (und 40 im Stream).

PIRATEN-Sicherheitskonferenz #psc15: moderierte Diskussion mit Dr. Mark Daniel Jaeger (2. v. l.), Yvonne Hofstetter (3. v. l.) und Dr. Rob Imre (r.). CC-BY-SA 3.0 Olaf Konstantin Krueger.
PIRATEN-Sicherheitskonferenz #psc15: moderierte Diskussion mit Dr. Mark Daniel Jaeger (2. v. l.), Yvonne Hofstetter (3. v. l.) und Dr. Rob Imre (r.). CC-BY-SA 3.0 Olaf Konstantin Krueger.

Ein Risiko wird berechnet aus der Mulitplikation aus möglichen Schäden und der Wahrscheinlicheit, dass dies passiert. Donald Rumsfeld beschrieb vor einiger Zeit den Feind dieser Risikobewertung, indem er die einzelnen Faktoren dieser Formel aufzählte: “Dinge, von denen wir wissen, dass wir sie wissen, Dinge von denen wir wissen, dass wir sie nicht wissen und Dinge von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen”. Nach dieser Logik wird die Risikokalkulation sinnlos, denn wir wissen nicht, ob es nicht unbekannte Dinge gibt, von denen wir nicht wissen, dass es sie gibt. Für Dr. Mark Daniel Jaeger gehört das zu den neuen Herausforderungen von Sicherheitspolitik unserer Zeit. Nun ist es allerdings auch so, dass wir es uns nicht leisten können, uns gegen alle Risiken zu wehren, also müssen wir verhindern, dass es passiert! In der digital vernetzten Gesellschaft ist alles voneinander abhängig. Kritische Infrastruktur ist somit auch immer verwundbar. Was macht Infrastruktur kritisch? Nicht die Gefährdung, sondern die potentiellen Auswirkungen von Angriffen! Zur Gefahrenabwehr werden immer mehr Daten ausgewertet. Durch die Verlagerung nahezu jeder Kommunikations ins Internet ist dies, technisch gesehen, nicht besonders aufwändig. Eine Folge davon ist, dass unsere Kommunikation immer weniger vor dem Mitlesen Dritter geschützt ist. Für Jaeger besteht die Herausforderung der Zukunft darin, das Recht auf Privatheit mit der Sicherheitspolitik wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

Dr. Rob Imre sprach über sein Forschungsgebiet, die Medialisierung und Kapitalisierung des Überwachungssystems. Für ihn waren die Enthüllungen von Edward Snowden nicht überraschend. Dass mit “Five-Eyes” und ähnlichem eine gigantische Überwachungsmaschinerie läuft, war weitgehend bekannt. So erklärt sich für ihn die allgemeine “Na und?” Reaktion in der Bevölkerung und grossen Teilen der Politk. In Deutschland sorgte einzig die Telefonüberwachung Merkels für grössere Aufregung. Das zeigt Imre, dass es heute quasi unmöglich ist, keine Daten zu sammeln, man kann kaum Personen aus Datansammlungen aussparen. Auch die Metadaten sind vorhanden und werden genutzt. Die selbstgestellte Frage “Haben wir ein Überwachungssystem?”, beantwortet er deutlich: “Ich denke ja: Es wurde aufgebaut, mal zufällig, mal absichtlich, mal unabsichtlich, mal geplant, mal alles von dem. Jedenfalls sind die Menschen und ihre Umgebung ständig beobachtet”.

Yvonne Hofstetter ging auf “Schlüsseltechnologien und staatliche Sicherheitsvorsorge” ein. Für sie ist Deutschland abhängig von ausländischen Digital-Erzeugnissen. In der Sicherheitsvorsorge verliert das Land an Autonomie. Unsere Smartphones, Netzwerkgeräte und ihre Betriebssysteme sind – mit wenigen Ausnahmen – amerikanische Marken. Mit digitalen Schlüsseltechnologien importieren wir deren Geschäftsmodelle, darunter eben auch die Überwachung. Für Hofstetter bringt die Totalvernetzung unseres Alltags hohe Sicherheitsrisiken mit sich. Vielfach aber beschränkt sich die Diskussion um das „Internet der Dinge“ auf eine gesteigerte Verletzlichkeit der Zivilgesellschaft und mögliche IT-Sicherheitsstrategien. Sie sieht in der näheren Zukunft letale Angriffe auf unsere Infrastrukturen. Damit sind nicht nur Rechner- und Netzwerkinfrastrukturen gemeint, denn im Fokus krimineller Energien, aber auch staatlicher Spionage und Sabotage, stehen Kraftwerke, Pipelines oder sonstige systemrelevante Infrastrukturen. Sie schlägt vor, dass, wer aus weltanschaulichen Gründen – auch mit Blick auf Snowden – nicht bei den U.S.A. einkaufen will, auf europäische Partner setzen soll. Partner, die nur für den europäischen Bedarf produzieren. Denn wenn man die gemeinsame (europäische) Sicherheits- und Verteidigungspolitik auch industriell umsetzen wollte, dann würde das bedeuten: Die beteiligten Länder steuern ihre jeweilige Kernkompetenz in Schlüsseltechnologien bei. Und als Europäer entwickeln wir eine eigene europäische Infrastruktur der Sicherheitsvorsorge, die „grundrechtssicher“ ist und unsere europäischen Werte auch technologisch berücksichtigt.

Prof. Hans-Georg Fasold ging das Thema “Sicherheit” aus einer ungewohnten Richtung an: Die Sicherheit unserer Gasversorgung durch Pipelines und in Form von verflüssigtem Gas. Mit der Einsicht “Bis 1998 floss das Gas in Europa immer vom höheren Druck zum niedrigeren. Heute vom niedrigeren Preis zum höheren” war die Problematik schon gut beschrieben. In den nächsten Jahren wird der Anteil der lokalen Förderung in Europa sinken und bis 2025 bei nahe Null liegen. Daraus folgt die Notwendigkeit grössere Gasmengen aus West-Sibirien, der Kaspischen Region und dem Mittlerer Osten nach Europa zu befördern und auch hier zwischenzulagern. Die Speicherung geschieht in porösem Gestein oder Kavernen in Salzvorkommen – darin werden Hohlräume geschaffen, um dort Gas zu lagern. Wegen des stagnierenden Bedarfs und dem Niedergang in der lokalen Gasproduktion werden zusätzliche Speicherkapazitäten geplant. Im Moment sind diese sehr ungleich verteilt: gut in Deutschland, fast keine in England und Irland. In der Schweiz, Liechtenstein und Luxemburg gibt es überhaupt keine.

Es gab weitere Vorträge und Podiumsdiskussionen. So sprach Angelika Beer, sie sitzt für uns Piraten im Kieler Landtag, über die “Cryptowars 3.0 – der Kampf, um unsere Demokratie zu erhalten”, Peter Matthisen über einen umfassenden Ansatz, und Sylvia Johnigk und Kai Nothdurft vom Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung über den “Cyberspace – eine Kampagne für eine friedliche genutztes Internet”.

Die Piratige Sicherheitskonferenz war alles andere als eine Veranstaltung für Realitätsverweigerer. Dieser Realitätssinn zog sich durch alle Beiträge und kam bei den Teilnehmern gut an.

Die Aufnahmen der Veranstaltung werden in den nächsten Tagen auf der Konferenzseite verfügbar sein.

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Zweiter Tag: Pirate Security Conference – Konflikte im Nahen Osten

Die “Pirate Security Conference” in den Münchener Ringstudios fand unter dem Motto “Sicherheitspolitik nach Snowden” statt. Am zweiten Tag lag der Schwerpunkt auf den Konflikten im Nahen Osten. Auf den ersten Bick hat dies nicht viel mit Snowden zu tun, letztlich hängen die Abhöraktivitäten der Geheimdienste aber auch mit dem Terror dort und den offen ausgetragenen Konflikten zusammen.

Das Programm war eng getaktet und fand teilweise parallel in zwei Räumen statt. Die Vorträge zeigten wie schon am ersten Tag ein hohes Niveau, dasselbe kann von den sich jeweils anschliessenden Frage- und Diskussionsrunden gesagt werden.

PIRATEN-Sicherheitskonferenz #psc15: Enno Lenze. CC-BY-SA 3.0 Olaf Konstantin Krueger.
PIRATEN-Sicherheitskonferenz #psc15: Enno Lenze. CC-BY-SA 3.0 Olaf Konstantin Krueger.

Letztes Jahr ist die irakische Armee aus Kurdistan geflohen, teilweise überrannt von ISIS. ISIS ist nicht sehr mächtig, sie haben wenig Waffen. Teils sind dort Saddams Generale aktiv, denn sie kennen die Gegend und die irakische Armee. Das “mittlere Management” der ISIS besteht aus Soldaten aus Tschetschenien, die für 2000-5000 Dollar “ausgeliehen” werden. Die Fußtruppen sind reines Kanonenfutter. Das ist ein Problem: ISIS hat intelligente Anführer und todesbereite Fußtruppen. Die irakische  Armee dagegen hat nur eingeschränkte Aufklärungsmöglichkeiten. Den irakischen Soldaten wurde gesagt “Haut ab oder wir köpfen euch”. Da die irakischen Soldaten nicht wussten, ob sie es mit vielen oder wenigen Kämpfern zu tun hatten, sind sie aus Angst abgehauen. Dabei hinterließen sie dutzende RPG-sichere Humvees, Klasse4-Schutzwesten, Uniformen, Waffen und vieles mehr. Die Peschmerga dagegen haben nur wenige panzerbrechende Waffen. Im Kampfgebiet gibt es keine klare Front, die ganze Gegend ist gefüllt mit Kämpfern der Peschmerga und der ISIS, die oft nur 150m weit ausseinander liegen. Als Schutz gegen den ISIS-Beschuss dienen ein paar Erdwälle. Die frisch gelieferten österreichischen Glock 9 Pistolen dienen meist nur dazu, sich selbst zu töten, falls eine Stellung vom ISIS-Kämpfern überrannt wird. Als ISIS mit den frisch von der irakischen Armee besorgten Humvees ankam, konnten die Perschmerga fast nichts machen. Sie haben nur wenige Panzer. Spezialtruppen haben etwas bessere Ausrüstungen, aber beispielsweise auch keine Luftwaffe und auch keine Schutzwesten.

Eine Eskalation der Kämpfe fand im August statt. Die Peschmerga hatten einige erfahrene Kämpfer, aber auch viele junge, die nie einen Krieg gesehen haben. Nachdem die ISIS Geländegewinne erkämpfen konnte, forderten die Peschmerga dringend Waffen an. Inzwischen wurden Waffen aus Deutschland geliefert, deutsche Militärberater (keine Soldaten) halfen bei der Ausbildung der Soldaten.

Mit den Milan Panzerabwehrraketen und der Panzerfaust 3 verfügen die Peschmerga über die Möglichkeit zu Langstreckenkämpfen. Vielleicht haben sie auch Uranmunition, zumindest wurden Munitionskisten mit Radioaktivitätssymbolen gesehen. Mit diesen Waffen können sie nun die gepanzerten Fahrzeuge und Truppentransporter des ISIS zerstören. Innerhalb kurzer Zeit wurden so große Teile Kurdistans “befreit”. Jetzt gibt es viele verlassene Häuser, die mit Sprengfallen vermint sind. Wegen der vielen Zerstörungen sieht es dort apokalyptisch aus. Heute leben etwa 2 Millionen Flüchtlinge im kurdischen Gebiet. Die Einwohnerzahl betrug zuvor 5 Millionen.

Peter Finkelgruen bei der PSC15 | CC BY 2.0 Michael Renner
Peter Finkelgruen bei der PSC15 | CC BY 2.0 Michael Renner

Peter Finkelgruen ist Rundfunkredakteur, Korrespondent und Autor. Er berichtete in seiner sehr persönlich gehaltenen Erzählung seiner Jugendtage im jungen Staat Israel. Laut Finkelgruen berichten schon literarische Erzählungen von Schlachten im Sudan und Ägypten, dem Aufstand der Mahdi und der Gründung des ersten islamistisch-fundamentalistischen Staats der Neuzeit, einem Kalifat im Sudan. Diese Blutherrschaft dauerte 13 Jahre. Aber auch das saudische Königreich ist ein salafistisches Gebilde, das der ersten Generationen des Islam nacheifert. Heute fallen die Staaten des Nahen Ostens auseinander, die nach dem 1. Weltkrieg von den Kolonialmächten errichtet wurden. Hier entstehen neue Grenzen entlang religiöser und ethnischer Gebiete.

Es gibt mind. 5 palästinensische Gruppen, die eigene Interessen vertreten:

  • Israelische Araber, sie haben mit 20% Bevölkerungsanteil einen Minderheitenstatus in Israel. Sie sitzen auch in der Knesset. Sie sind rechtlich gleichgestellt, faktisch jedoch benachteiligt und einem ständigen Misstrauen ausgesetzt.
  • Palästinenser mit jordanischer  Staatsbürgerschaft. Sie stellen die Bevölkerungsmehrheit, haben jedoch den Status einer Minderheit.
  • Palästinensische Bevölkerung in den seit 1967 besetzen Gebieten der Westbank. Das sind selbstbewusste Bürger der Mittelklasse, zB. Ärzte und Architekte mit jordanischen Pässen.
  • PLO seit 1947/48 und 1967. Ein Zusammenschluss aus Gruppen und Grüppchen, die Anhänger in Syrien und Jordanien aus Flüchtlingskreisen zusammen suchen.
  • Palästinenser, die im westlichen Asyl leben, eingebunden in ihr Umfeld sprechen sie zwar von Solidarität, beschränken diese jedoch oft auf Überweisungen und ggf. Lobbyarbeit.

Aber auch die jüdische Seite fragmentiert zusehens. Hier verläuft der Konflikt zwischen Zionisten und Antizionisten. Das Militär und die Vertreter der Religion sind faktisch in jeder Regierung vertreten und üben grossen Einfluss aus. Deswegen ist auch in Israel zu beobachten, dass jede organisierte und institutionalisierte Religion rückwärtsgewandt ist.

 

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