Beitrag erschienen bei der Flaschenpost
In Sachsen eskaliert seit Wochen die Flüchtlingssituation – Rechtsradikale greifen Flüchtlingstransporte und -unterkünfte an. Steine, Feuerwerkskörper, Brandbomben – vor kaum etwas scheinen Rechte zurückzuschrecken, um den angeblichen “Schmarotzern” zu zeigen, dass sie in Deutschland nicht willkommen sind. Dass es sich bei ihnen um Menschen handelt, die aus Angst um ihr Leben und das ihrer Familie aus ihrem Heimatland fliehen, scheint dabei einfach vernachlässigt zu werden. Doch es regt sich Widerstand – am Freitagabend vergangener Woche richtete das Bündnis “Dresden Nazifrei” ein Willkommensfest für die Flüchtlinge in Heidenau aus und zeigte den Vertriebenen so, dass sie auch viel Unterstützung in Deutschland erhalten. Am darauffolgenden Samstag ging es zur Demonstration durch Dresden – tausende Teilnehmer fanden sich für “Refugees welcome!” und gegen den Rechtsradikalismus zusammen. Auch der Vorsitzende der Piratenpartei, Stefan Körner, kam in die sächsische Hauptstadt, um sich an der Demonstration zu beteiligen. Wir nutzten die Gelegenheit, um mit ihm über Asylpolitik und Rechtsradikalismus zu reden.
Flaschenpost: Mit der stark steigenden Anzahl an Flüchtlingen, die in Deutschland ankommen, nehmen auch wieder die Übergriffe der Rechtsradikalen zu – Aufmärsche, Beschimpfungen, Steine werfen, Brände legen – in den Medien sind diese Taten momentan wieder sehr präsent. Siehst du darin einen Rechtsruck in Deutschland, oder kocht das Thema nach PEGIDA und der Flüchtlingswelle nur wieder hoch?
Stefan Körner: Ich weiß nicht, ob die Rechtsradikalen wirklich vermehrt Zulauf bekommen. Ich befürchte einfach nur, dass Menschen aufgrund von Desinformation und Verzweiflung den Weg dahin suchen. Fakt ist jedoch, dass die Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte zunehmen. Und das ist etwas, was mir definitiv Angst macht. Es geht hier schließlich um unsere Gesellschaft. Wir haben in der Vergangenheit gesehen, wohin solche geschürten Aggressionen führen können und ich bin überzeugt, dass wir das nicht wiederholen dürfen. Ich glaube aber auch, dass es einfach mehr Menschen gibt, die jetzt ihre Fremdenfeindlichkeit ausleben. PEGIDA hat in Teilen gezeigt, dass solch dumpfes Gedankengut immer noch salonfähig ist. Das beflügelt natürlich viele, die sich vorher zurückhielten.
Flaschenpost: Unter Beschuss stand dieses Wochenende auch das Recht auf die Versammlungsfreiheit. Zuerst wurde in Heidenau ein allgemeines Versammlungsverbot erlassen, da man Ausschreitungen erwartete, denen die örtliche Polizei nicht gewappnet sein würde. Das Verwaltungsgericht in Dresden kippte die Entscheidung im Eilverfahren auf Antrag einer Person, die sich für das Willkommensfest für Flüchtlinge und für das Bündnis „Dresden Nazifrei“ auf das Demonstrationsrecht berief. Diese Entscheidung wurde wiederum am Freitagabend vom sächsischen Oberverwaltungsgericht für teilweise nichtig erklärt: Da der Antragsteller nur die Initiative und das Willkommensfest vertreten hatte, war nur die Zulassung des Fests richtig gewesen. Alle anderen Demonstrationen und Veranstaltungen blieben damit weiterhin verboten. In letzter Instanz schaltete sich schließlich das Bundesverfassungsgericht ein und erklärte das Versammlungsverbot in seiner Gesamtheit für ungültig.
Es ist ohne Zweifel gut, dass versucht wurde, Rechtsradikalen keine weitere Gelegenheit zu geben, die Situation in Heidenau zu eskalieren – und doch muss man sich fragen, ob dies alle im Einklang im mit den demokratischen Grundsätzen geschah. Was denkst du dazu?
Stefan Körner: Die Versammlungsfreiheit ist nicht umsonst im Grundgesetz fest verankert. Auch wir haben heute hier gesehen, dass es wichtig ist, dass die Menschen auf die Straße gehen und zeigen können, dass man nicht alleine ist. Es ist äußerst wichtig, dieses Recht in einer Demokratie hochzuhalten. Es ist nicht zielführend, beispielsweise PEGIDA-Demos zu verbieten. Unsere Demokratie muss es aushalten können, dass eine Minderheit von Wirrköpfen lautstark ihre Meinung vertritt – auch das kann so eine Demonstration zeigen. Bei uns in Bayern gab es auch viele Demos von PEDIGA-Ablegern, an denen aber nur eine Handvoll Leute teilnahmen und die damit den fehlenden Zulauf hier zeigten.
Statt dem allgemeinen Verbot von Demonstrationen sollte man andere Möglichkeiten in Betracht ziehen. Im Fall Heidenau zum Beispiel wäre es vielleicht sinnvoll, das Gebiet um das Flüchtlingsheim zur Bannmeile zu erklären, in dem keine Demonstrationen erlaubt sind. So wird es beispielsweise in Berlin für die Gebäude des Bundestags und den Bundesrats gemacht. In diesen Bereichen ist das Demonstrieren nur in Ausnahmefällen gestattet. In Heidenau und bei anderen Flüchtlingsheimen wäre es begründbar, weil sowohl der Schutz der Flüchtlinge als auch die Forderung, ihnen eine Atmosphäre frei von Angst und Bedrohung zu sichern, höhere Güter sind als die Versammlungsfreiheit in diesem Gebiet. Es ist allerdings eine sehr schwierige Abwägung zwischen den Grundrechten.
Flaschenpost: Die Demo in Dresden hielt vor dem Polizeipräsidium und der Staatskanzlei, um dort Kundgebungen abzuhalten und auch, um die Arbeit von Polizei und Verwaltung anzuklagen. Auch im Vornherein gab es von vielen Seiten Kritik in diese Richtung. Schließt du dich dieser Kritik an?
Stefan Körner: Ich war nicht in Heidenau und weiß auch nicht, wie die Polizeipräsenz vor Ort ist. Aber geht man nach der Berichterstattung, ist es doch recht klar, dass zu wenige Einsatzkräfte vor Ort waren. Das zeugt schlicht und einfach von einem Versagen des Innenministeriums. Im Zweifel muss das Land Sachsen dafür sorgen, dass mehr Polizeikräfte eingestellt und ausgebildet werden, um die Sicherheit der Flüchtlinge gewährleisten zu können. Deswegen gibt es eine Polizei: Sie soll für die Sicherheit der Menschen sorgen können – und dazu muss sie auch in der Lage sein.
Flaschenpost: Auch die Politiker sind mittlerweile auf die Lage hier in Sachsen aufmerksam geworden – Sigmar Gabriel, Angela Merkel und verschiedene sächsische Minister besuchten in Heidenau das Flüchtlingslager. Alle verurteilen natürlich die Taten gegen die Flüchtlinge, doch zu Lösungsansätzen ist es sonst aus den Reihen der Politik recht still. Was wünschst du dir von unseren politischen Vertretern in dieser Angelegenheit?
Stefan Körner: Von unseren Politikern wünsche ich mir mehr Aufmerksamkeit; die Gesamtsituation macht deutlich, dass weite Teile unserer Exekutive auf dem rechten Auge blind sind. Das sieht man schon daran, wie lange die NSU ungestört ihr Unwesen treiben konnte. Den Berichterstattungen nach wirkt es außerdem so, als würde die Polizei nur sehr zögerlich gegen Rechtsradikale eingreifen. Das ist zum Teil politisch auch einfach so akzeptiert. Hier wünsche ich mir von allen Parteien ein deutlich aufmerksameres Hinsehen und wesentlich früheres Einschreiten. Die Polizei soll die Möglichkeit haben, Rechtsradikalen klar und deutlich ihre Grenzen zu zeigen können.
Das Wichtigste wäre es allerdings, dass unsere etablierten Parteien aufhören, selbst Stimmung gegen die Menschen zu machen, die zu uns kommen, weil sie in ihrem Heimatland auf der Flucht vor Krieg und Tod sind.
Vielleicht wäre es schon ein guter, erster Schritt, nicht mehr von Flüchtlingen, sondern von Vertriebenen zu sprechen. Diese erfahren mehr Unterstützung in Deutschland, da es bereits gut organisierte Vertriebenenverbände gibt, die sich nach dem 2. Weltkrieg gegründet haben. Außerdem hilft es vielleicht daebi, dass sich das Meinungsbild vieler diesen Menschen gegenüber ändert.
Flaschenpost: Und wie steht es mit der Piratenpartei? Mit den Mitgliedern, den Mandatsträgern, den gewählten Vertretern wie dir? Was kannst du tun, was können wir tun – wie sollen wir mit der Flüchtlingsproblematik und der Gefahr von rechts außen umgehen?
Stefan Körner: Ich glaube, das ist keine Sache der Parteizugehörigkeit, sondern etwas, was wir als Gesellschaft den Menschen schulden, nämlich sich für Schwächere oder Menschen in Not stark zu machen. Ich gehe regelmäßig zu Veranstaltungen gegen rechts – aber nicht, weil ich Pirat bin, sondern weil mir dieses braune Gedankengut einfach zutiefst zuwider ist und ich meine Stimme dagegen deutlich machen will.
Flaschenpost: Vielen Dank für das Interview und natürlich auch für deine Teilnahme an der Demonstration.
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