Beitrag erschienen bei der Flaschenpost.
„Der Wald in Schleswig-Holstein gehört zu den Naturreichtümern des Landes, ist eine unverzichtbare Lebensgrundlage der Menschen und bietet unersetzbaren Lebensraum für Pflanzen und Tiere“, so steht es im Landeswaldgesetz (LWaldG). Weiter führt das Gesetz ein uraltes Recht der Schleswig-Holsteiner aus: „Jeder Mensch darf den Wald zum Zwecke der naturverträglichen Erholung auf eigene Gefahr betreten.“ (LWaldG) Zu dem Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des Landeswaldgesetzes hatte selbstverständlich noch niemand daran gedacht, dass die Gefahren eines Spaziergangs im Wald zukünftig darin bestehen könnten, von etlichen Kameras beobachtet zu werden.
Zu Recht sind viele Bürger betroffen bei dem Gedanken, dass Unterhaltungen beim Pilzesammeln, ein romantisches Rendezvous oder der spontane Drang zur Notdurftverrichtung in ungenannter Öffentlichkeit stattfindet: Für Waldbesucher ungesehen und gut getarnt, nehmen Jäger später vom heimischen Sofa aus an der Vielzahl der Aktivitäten in ihrem Revier Anteil. Das geht ganz einfach: Ab in den Wald, Chipkarte der Kamera auswechseln und zu Hause abspielen, fertig. Das ist viel bequemer als bei Regenwetter auf dem Hochsitz auszuharren. Sogar kleinere Diebstähle oder die außereheliche Affäre eines Politikers aus Kärnten gerieten auf diese Art und Weise in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. „Eigentlich kurios“, könnte der eine oder andere Schleswig-Holsteiner vermuten, doch seit ein bekannter Discounter die Wildtierkameras zum Dumpingpreis anbietet, sind der Überwachung aller im Wald befindlichen Lebewesen weder technische noch finanzielle Grenzen gesetzt.
Die Jagdverbände verteidigen selbstverständlich diese technische Innovation und begründen das durch ihr Jagdrecht. Für eine effiziente Jagd sei der Gebrauch von Kameras unabdingbar, um das ökologische Gleichgewicht des Waldes zu erhalten. Dem widersprechen Tierschutzverbände, die die technisierte Form des Jagens als unmoralisch bezeichnen, da – so die emotionale Begründung – die Tiere zu puren Schädlingen degradiert würden und nicht mehr die geringste Chance hätten, der Flinte des Jägers zu entkommen.
Doch eigentlich spricht das Bundesdatenschutzgesetz eine eindeutige Sprache. Paragraph 6b regelt die Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume. Die zuständigen Datenschutz-Aufsichtsbehörden der Länder entnehmen dieser Vorschrift: Die anlasslose Überwachung im Wald ist unzulässig. Kameras – meist an den Futterstellen für Wildtiere installiert – müssen für Besucher kenntlich gemacht werden. Der Einsatz muss zur wissenschaftlichen Tierbeobachtung notwendig, begründet und der Datenschutzbehörde gemeldet sein. Spaziergänger dürfen nicht einfach gefilmt werden, also muss die Ausrichtung der Kameras dies vermeiden, zufällige Bilder müssen gelöscht werden.
In Schleswig-Holstein hatte die Piratenfraktion am 22.4.14 nachgefragt: Wie viele Kameras dokumentieren unsere Freizeitvergnügen im Wald? Ausgerechnet im Wald als sensiblen Bereich, den wir zu Recht als Ort der Entspannung und Erholung nutzen. Und in dem wir uns bisher unbeobachtet glaubten.
Die Antwort: Die Landesregierung hatte damals nicht die geringste Ahnung, wie viele Kameras inzwischen in den Wäldern aufgestellt sind. Es bestand weder eine Meldepflicht, noch eine Anzeigepflicht für Wildtierkameras. Demzufolge wurde auf das zuständige Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) verwiesen und eingeräumt, dass da wohl ein gewisser Handlungsbedarf bestünde. Grundsätzlich sei der Einsatz von Kameras „nur zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke zulässig“, hieß es seitens der Landesregierung. Zulässig sei Naturschutzforschung von Naturschutzbehörden. Zufällig durch Kameras aufgenommene Personen müssten sofort und dauerhaft gelöscht werden.
Auf Anfrage von Patrick Breyer, Abgeordneter der Piraten im Kieler Landtag, hat das ULD jetzt seine Hinweise für den Einsatz von Wildtierkameras nach den Hinweisen der Piratenfraktion aktualisiert! Die Initiative hatte Erfolg: Das Interesse der Waldbesucher an einem ungestörten Zugang zur freien Natur überwiegt gegenüber dem Interesse von Jägern. „Der Einsatz von Wildkameras in öffentlich zugänglichen Räumen ist damit grundsätzlich unzulässig“, urteilte das UDL am 16.1.2015.
Natürlich gibt es auch sinnvolle wissenschaftliche Einsatzmöglichkeiten zur Tierbeobachtung, die durch das Aufstellen von Kameras notwendig begleitet werden müssen. Diese sollen auch weiterhin möglich sein. Deshalb fordert Patrick Breyer nach diesem Durchbruch zusammen mit dem Datenschutzbeauftragten des Landes Schleswig-Holstein Thilo Weichert ein Kameraregister als weitere Maßnahme. Dieses Kameraregister könnte dann von einer Behörde ins Internet gestellt werden, denn laut dem Datenschutzbeauftragten Thilo Weichert fragen Bürgerinnen und Bürger regelmäßig verunsichert bei der ULD nach Wildtierkameras in den Wäldern.
Die Piraten im Kieler Landtag treten jetzt noch entschlossener für den Schutz der Privatssphäre aller Bürger ein und freuen sich über diesen Teilerfolg, denn die zunehmende und pauschale Videoüberwachung des öffentlichen Raumes greift unverhältnismäßig in die Privatsphäre der Menschen ein. Bis auch die Forderung nach einem Kameraregister erfüllt ist, haben Piraten eine Internetseite eingerichtet: http://kamerakarte-nord.de, auf der Bürger und Bürgerinnen selbst gefundene Kameras eintragen können.
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