Beitrag von Christiane vom Schloss erschienen auf der Bundes-Website.
Lehrer und Lehrerinnen gestalten den Unterricht in ihren Schulklassen. Dabei haben sie laut der Schulgesetze in den unterschiedlichen Bundesländern viel pädagogische Freiheit und großen Gestaltungsspielraum. Staatsorgane wie Bundeswehr und der Verfassungsschutz nutzen dies mit passenden Angeboten aus.
Diesen Missstand enthüllte jüngst eine Anfrage Patrick Breyers, Landtagsabgeordneter der Piratenfraktion in Kiel.
Im Rahmen der Lehrerausbildung wird dazu der erste Grundstein gelegt, denn mittels Vorträgen des Verfassungsschutzes, politischen Bildungsfahrten und kostenfreien Unterrichtsmaterialien werden Referendare »politisch weiter gebildet«. Als examinierten Lehrkräften steht es den Unterrichtenden später frei, die Angebote des Verfassungsschutzes unkritisch in Anspruch zu nehmen.
Um weitere Lehrkräfte zu erreichen, arbeitet der Verfassungsschutz zumindest im Land Schleswig-Holstein mit dem Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holsteins (IQSH) zusammen, welches das zentrale Weiterbildungsinstitut für Referendare und Lehrkräfte ist.
Teilnahme am Vortrag für Schüler verpflichtend
Zuletzt im Februar 2015 bot der Verfassungsschutz am Fachtag zum Thema »Islamismus und Salafismus als Herausforderung an der Schule« einen Vortrag »Grundlagen und Begriffserläuterungen« sowie ein Diskussionsforum »Umgang mit religiös motivierten Verhaltensweisen in der Schule« an und stellte mit Sicherheit Unterrichtsmaterial sowie buchbare Veranstaltungen vor.
Unter Etiketten wie »Sicherheitspolitik«, »Arbeitsweise des Verfassungsschutzes« und »Extremismus« übernehmen Mitarbeiter des Verfassungsschutzes stundenweise den Unterricht, wenn Lehrerinnen oder Lehrer auf das Angebot zurückgreifen und vormittags Mitarbeiter des Verfassungsschutzes als Vortragende einladen.
Für die Schüler ist dann die Teilnahme verpflichtend. Anderenfalls würden sie Unterricht schwänzen. Die Eltern müssen nicht von solchen Veranstaltungen in Kenntnis gesetzt werden. Dies gilt auch für kostenloses Unterrichtsmaterial vom Verfassungsschutz. Es handelt sich dabei unter anderem um Comics und mehrstündige Planspiele. Schülerinnen und Schüler können die Nutzung des Materials nicht verweigern, ohne Konsequenzen bei der Leistungsbewertung in Kauf zu nehmen.
Klassenfahrt zum Verfassungsschutz nach Berlin
Der Berliner Senat veröffentlichte vor einigen Wochen eine Anfrage der Linken, aus der hervorgeht, dass auch Berliner Schulen die angebotenen Vorträge des Verfassungsschutzes in Anspruch nehmen, genau wie Schulen in Schleswig-Holstein das »Bildungsangebot des Verfassungsschutzes«, z.B. für Klassenfahrten nach Berlin, nutzten.
Nachweislich buchten das Gymnasium Brunsbüttel, die Lornsen-Schule Schleswig, die Eckener Schule Flensburg und die Gemeinschaftsschule Viöl mit je ca. 40 Personen, Veranstaltungen des Berliner Verfassungsschutzes. Über eine Stunde lang wurden »Arbeitsweise des Verfassungsschutzes« und »einzelne Extremismusfelder« dargestellt.
Da Berlinfahrten in Schulen sehr beliebt sind und bezuschusst werden, wenn sie der politischen Bildung der Schüler und Schülerinnen dienen, ist der Vortrag des Verfassungsschutzes für Lehrer ein verlockendes Angebot. Genauso stellt kostenloses, aktuelles Unterrichtsmaterial, z.B. Comics, Planspiele oder Ausstellungen für Lehrkräfte eine Versuchung dar, obwohl die unkritische Nutzung dem Grundsatz des Beutelsbacher Konsens widerspricht, dass politische Bildung neutral sein muss.
Dennoch enthüllt die Anfrage des Landtagsabgeordneten Patrick Breyer, dass zumindest der Landesregierung Schleswig-Holstein die Problematik nicht bewusst ist, wie die im Folgenden von Breyer zusammengefassten Antworten zeigen:
– Lehrer hätten freie Hand, Schüler zur Teilnahme an Vorträgen des Verfassungsschutzes zu verpflichten und Unterrichtsmaterial des Verfassungsschutzes zu verwenden,
– Lehrern würden keine Hinweise auf alternative, zivile Vortragsanbieter zu diesem Themenkreis gegeben und sie würden auch nicht ersucht, die nötige Kontroversität herzustellen; dies werde schlichtweg »erwartet«,
– dass sie offenbar ahnungslos ist, ob Verfassungsschutzbehörden Vorträge zur Rekrutierung von »Quellen« nutzen und Schüler zur
Bespitzelung anstiften,
– der hiesige Verfassungsschutz dürfe vor Schülern vortragen und an der Lehrerausbildung teilnehmen, künftig möglicherweise sogar im Rahmen einer »festen Kooperation«.Vor welchen »öffentlichen Einrichtungen« der hiesige Verfassungsschutz in der Vergangenheit konkret Vorträge gehalten hat, wird nicht offengelegt.
Bundesländer ziehen Kooperationsverträge in Erwägung
Gerade aufgrund der jüngsten Skandale wie der Zusammenarbeit mit der NSA, problematischen Definitionen des Extremismusbegriffs, denn zum Teil werden Demonstrationen ja schon als Demokratiegefahren gehandelt, einschließlich der Bürgerüberwachung, ist es problematisch, wenn einer solchen Institution unkritischer Zugang zu Schulen gewährt wird und zumindest Länder wie Schleswig-Holstein ihnen im Rahmen der gesetzlichen Grundlagen neben dem »Auftrag die Öffentlichkeit zu unterrichten« quasi einen Bildungsauftrag zugestehen. Mögliche Kooperationsverträge – wie in der Anfrage erwähnt – werden vom Land Schleswig-Holstein und vielleicht auch von anderen Bundesländern in Erwägung gezogen. Hinweise auf Kooperationen ähnlicher Art gibt es in Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, NRW, Niedersachsen, Hessen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Diese Angebote würden eine Verschärfung der Situation bedeuten, da dann dem Verfassungsschutz die Tür der Schule jederzeit offen stünde.
Bildung muss – laut des Beutelsbacher Konsens – politisch neutral sein. In Schleswig-Holstein wurde die Forderung, dass zumindest ein Bürgerrechtsvertreter bei Vorträgen des Verfassungsschutzes eine kontroverse Position darstellen sollte, gestellt. Dafür müssten die Lehrer sorgen, erklärt die Landesregierung. Doch Hinweise oder Richtlinien für Lehrkräfte lehnt das Land ab!
»Es wäre umgekehrt Aufgabe der Landesregierung, zivile Institutionen zu finden und zu kommunizieren, die Schüler und Lehrer über demokratiefeindliche Strömungen und über die zivile Arbeit dagegen aufklären und entsprechende Vorträge halten können«,
bewertet Patrick Breyer die Situation und erreichte zumindest, dass eine Landeszeitung darüber berichtete.
Angesichts der Ereignisse hat sich der Verfassungsschutz nicht sonderlich Dialog- oder kritikfähig erwiesen, wenn es um sein Versagen, z.B. bezüglich der der NSU Morde oder der Zusammenarbeit mit der NSA ging. Ist von solchen Institutionen neutrale politische »Unterrichtung« von abhängigen Schülern zu erwarten? Nicht nur die Piraten in Schleswig-Holstein lehnen dies ab, auch die DGB Jugend und weitere Verbände sowie Parteien kritisieren, dass sich der Verfassungsschutz in die politische Bildung drängt.
Es ist Zeit Fragen zu stellen. In welchen weiteren Bundesländern gibt es ähnliche Vorgänge? Wann und wo hat sich der Verfassungsschutz im Bildungsbereich engagiert? Wollen wir akzeptieren, dass eine so umstrittene Organisation bei sensiblen Themen wie »Islamismus« junge Menschen beeinflusst?
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