Beitrag erschienen auf der Bundes-Website.
Der Pirat Tobias D., @PiratosMuc, ist Mitglied in der wirtschaftspolitischen Arbeitsgruppe der Piratenpartei und beschäftigt sich seit Jahren mit der Geldpolitik. Er hat u.a. Vorträge bei Piraten-Veranstaltungen zum Thema »Geld entsteht – Geld vergeht« und zur Schuldenbremse gehalten. Nachdem die EZB am Donnerstag angekündigt hat, für 60 Mrd. Euro pro Monat Staatsanleihen aufzukaufen, haben wir Piratos gefragt, was davon zu halten ist.
Redaktion: Hallo Piratos, Du beschäftigst Dich seit vielen Jahren mit dem Thema Geldpolitik. Hat Dich die Ankündigung Mario Draghis überrascht?
Piratos: Nein. Das war abzusehen, da die Andeutungen in den letzten Wochen schon recht konkret waren. Auch die geplante Höhe ist nichts Besonderes.
In der deutschen Öffentlichkeit wird diese Summe als sehr hoch aufgefasst und das »Fluten« der Märkte sehr kontrovers diskutiert.
Ja, das stimmt. Aber leider sind in der öffentlichen Diskussion sehr viele – sagen wir – »Halbwahrheiten« unterwegs. Und ich vermisse eigentlich eine sachliche Aufklärung der Bevölkerung.
Inwiefern?
Nun ja, es beginnt schon damit, dass die EZB rein technisch kein Geld in die Realwirtschaft pumpen kann. Dazu muss man wissen, dass es in unserem Währungssystem zwei Geldkreisläufe gibt. Zum einen haben wir das Zentralbankgeld. Der Normalbürger kennt dies nur als Bargeld, welches aber nur Zentralbankgeld ist, damit das Drucken von Bargeld nicht von anderen Stellen durchgeführt wird. Das Bargeld ist auch ein verschwindend kleiner Teil der Zentralbankgeldmenge. Der größte Teil liegt auf Konten der Zentralbank. Solche Zentralbankkonten dürfen aber private Haushalte oder nichtfinanzielle Unternehmen gar nicht eröffnen. Verkürzt gesagt sind es die Konten der Banken bei der EZB. Die Banken leihen sich dieses Zentralbankgeld bei der EZB, um z.B. die Mindestreservepflicht zu erfüllen.
Auf der anderen Seite haben wir das Geld, welches wir von unseren Girokonten kennen, mit dem wir unsere Rechnungen bezahlen. Beide Geldkreisläufe haben nichts miteinander zu tun.
Aber die EZB will doch mit ihrem Zentralbankgeld den Banken Liquidität verschaffen, damit dieses Geld von den Banken an die Realwirtschaft weitergereicht wird.
Und genau das geht nicht. Die Banken können kein Zentralbankgeld weiterverleihen. Es gibt keine Verbindung zwischen diesen Geldkreisläufen.
Was passiert dann eigentlich genau, wenn die EZB Staatsanleihen aufkauft?
Da gibt es mehrere Varianten. Kauft sie die Staatsanleihen von Haltern von Zentralbankkonten – das können neben den Banken auch Staaten oder andere Gebietskörperschaften oder öffentlich-rechtliche Institutionen sein – dann tauschen diese Staatsanleihen gegen Zentralbankgeld. Das ist aus bilanzieller Sicht ein sogenannter »Aktivtausch«. Ansonsten passiert erst einmal nichts. Zentralbankguthaben können nicht »ausgegeben« werden. Sie gelangen nie in Umlauf.
Kauft die EZB die Staatsanleihen von Banken, dann ist die Theorie, dass diese nun mehr Kredite vergeben. Das ist aber ein Fehlglaube, denn damit ist nur die Möglichkeit geschaffen, dass Banken mehr Kredite geben können – aber tatsächlich passiert das nur, wenn die Banken das auch wollen und die Kredite von den Wirtschaftsunternehmen auch nachgefragt werden. Auf das erste hat die Zentralbank wenig Einfluss, auf das zweite überhaupt keinen.
Kauft die EZB die Staatsanleihen dagegen von Nichtbanken, dann stellt man sich das am besten als Doppelschritt vor: Das depotführende Institut kauft dem Halter die Staatsanleihen ab (gegen Gutschrift, also Giralgeld) und verkauft sie dann weiter an die Zentralbank (gegen Zentralbankgeld, also eine Gutschrift auf dem Zentralbankkonto). Hier findet also ein Aktivtausch bei der Nichtbank statt – es ist nun mehr Geld »in der Wirtschaft«. Und nun hängt es auch hier davon ab, ob die Nichtbanken dieses Geld einkommenswirksam ausgeben – also in Form von Konsum oder Realinvestition – oder ob sie es einfach wieder anlegen oder damit Kredite tilgen. Im ersten Fall kommt es zu einer wirtschaftlichen Belebung, im letzteren nicht. Auch hier hat die Zentralbank überhaupt keinen Einfluss (allenfalls einen psychologischen).
Die EZB will mit diesen Käufen eine drohende Deflation bekämpfen. Das heißt also, sie muss die Anleihen von Nichtbanken kaufen, damit diese das Geld in der Realwirtschaft ausgeben?
Theoretisch ja – praktisch aber wohl eher nicht. Wenn Nichtbanken Anleihen halten, dann deshalb, weil sie das Geld ja eben nicht ausgeben wollen oder gar nicht können, weil ihr Einkommen so hoch ist, dass es für Konsum nicht mehr ausgegeben werden kann.
Hinzu kommt noch, dass aus meiner Sicht das Instrument der Geldmengenausweitung völlig ungeeignet ist, um eine Deflation zu verhindern.
Warum?
Piratos: Was man aus der Vergangenheit lernen kann, ist, dass es keinen signifikanten Zusammenhang von der Geldmenge zur Inflation der Verbraucherpreise gibt, wohl aber zur Inflation der Vermögenspreise. Das wird wohl auch so bleiben – egal, was so gesagt oder geschrieben wird. Die Verbraucherpreise hängen zuerst mal von der Nachfrage ab und die wiederum am Einkommen der Konsumenten. Das hat aber gar nichts mit der Geldmenge, sondern einfach etwas mit den Löhnen zu tun. Wenn zusätzliches Geld nur angelegt wird, dann steigen die Vermögenspreise, die Löhne aber bleiben gleich und damit auch die Verbraucherpreise – genau das erleben wir jetzt.
Das bedeutet also, dass die Löhne erhöht werden müssen, damit eine Deflation in Europa verhindert wird? Aber es heißt doch ständig, dass gespart werden muss.
Auch hier wird die öffentliche Diskussion viel zu einseitig geführt. Mir fehlt zum Beispiel der erklärende Zusammenhang zwischen Sparen (bzw. Guthaben) und Schulden. Dazu nur ein Beispiel. In der Zwischenzeit sollte es den meisten Menschen bekannt sein, dass die Geschäftsbanken nicht nur kein Zentralbankgeld verleihen können, sie verleihen überhaupt kein »Guthaben« an Kreditnehmer: Bei Krediten wird das Geld von den Banken zusätzlich geschaffen! In meinem Vortrag in München habe ich dies ausführlich erklärt. Man kann das aber auch auf den Seiten der Bundesbank nachlesen, zum Beispiel im »Schülerbuch Geld und Geldpolitik«. Die Bundesbank hält das offenbar für ganz selbstverständliches Schulwissen.
Die Banken schaffen also Geld. Warum ist das so und warum ist das auch gut so? Nun, ganz einfach: wenn Menschen Geld sparen, dann fehlt dieses Geld in der Wirtschaft. Es kann nicht mehr ausgegeben werden. In Deutschland z.B. sparen die privaten Haushalte im Schnitt ca. 10% ihres Einkommens. Das würde bedeuten, dass die Wirtschaftsleistung massiv sinkt. Die Unternehmen können ihre Produkte nicht mehr absetzen und fahren ihre Produktion herunter – und natürlich auch das Personal. Das Ergebnis ist eine höhere Arbeitslosigkeit.
Und um das zu verhindern, muss also wieder neues Geld durch Kredit erschaffen werden?
Richtig. Das fehlende Geld muss wieder ersetzt werden. Im Normalfall machen das die Unternehmen oder der Staat, indem sie Kredite für Investitionen aufnehmen.
In Deutschland spart aber der Staat?
Nicht nur das. Auch die Unternehmen sind, bedingt durch die Finanzpolitik der Regierungen der letzten Jahrzehnte, in der Zwischenzeit zu Netto-Sparern geworden.
Und wer füllt dann das fehlende Geld auf?
Das Ausland. Deutschland hat seit vielen Jahren einen Exportüberschuss. Das bedeutet, dass wir mehr exportieren als importieren. Die Gründe hierfür hängen übrigens auch mit der moderierten Lohnpolitik bei uns in den letzten zwei Jahrzehnten zusammen. Exporte und Importe sind aber immer relativ zueinander. Wenn die Unternehmen eines Landes einen Exportüberschuss haben, müssen zwingend Wirtschaftsteilnehmer irgendeines Landes auf der Welt einen Importüberschuss haben, also mehr importieren, als sie exportieren. Die Unternehmen und Privaten in diesem Land verschulden sich dann oft bei dem Exportüberschussland.
Und damit komme ich zum nächsten Punkt, der ständig falsch in der Öffentlichkeit diskutiert wird: Genauso wie Importe und Exporte sich weltweit auf Null addieren, ergibt die Summe von (Geld-)Schulden und (Geld-)Vermögen Null. Weltweit kann nicht gespart werden, sonst würde die Weltwirtschaft zum Erliegen kommen. Dieser Zusammenhang ist extrem wichtig, aber leider werden die Schuldner in der Öffentlichkeit immer als die Schuldigen dargestellt. Aber ohne die Schuldner könnte es keine Sparer geben. Der Zusammenhang ist im Moment doch deutlich zu sehen. Wenn wir das Prinzip von Angebot und Nachfrage zugrunde legen, haben wir im Moment eine zu niedrige Nachfrage nach Schulden und dieses zeigt sich am niedrigen Zinssatz.
Zurück zum Thema Deflation und Bekämpfung derselben. Du hast gesagt, dass die Anleihenkäufe kein gutes Mittel gegen die Deflation sind. Was wären denn Deiner Meinung nach die richtigeren Maßnahmen?
Sparen ist auf jeden Fall das falsche Rezept. Wir brauchen doch nur in unsere eigene Vergangenheit zu schauen: Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts hat Deutschland versucht, sich aus einer Wirtschaftskrise herauszusparen. Dass dies nicht funktioniert hat und welche politischen Verwerfungen dies mit sich brachte, wissen wir ja zur Genüge. Das gleiche falsche Rezept wird seit Jahren mit unseren europäischen Partnern versucht. Auch hier sehen wir schon die politischen Veränderungen. Vom Leid der Bevölkerung in einigen südeuropäischen Ländern mal ganz abgesehen.
Das einzige, was Europa hilft, um aus der Deflationsgefahr herauszukommen, ist eine größere Nachfrage der Konsumenten. Und das geht nun mal nur durch höhere Löhne, oder indem man auf andere Weise ihre Kaufkraft stärkt. Und dieses nicht nur in den sogenannten Krisenländern, sondern auch und gerade bei uns, denn unsere Niedriglohnpolitik in Deutschland hat Europa erst in diese Situation gebracht. Aber das ist ein anderes Thema.
Ich freue mich auf unser nächstes Gespräch, in dem wir über ein paar spannende Vorschläge sprechen werden, die Du in diesem Zusammenhang schon gemacht hast. Für heute erst mal vielen Dank.
Kein Problem. Die Menschen über die Zusammenhänge des Geldsystems aufzuklären, ist für uns Piraten sehr wichtig. Denn wie sollte man sich eine Meinung bilden, wenn die Hintergründe im Dunklen bleiben?
Könnte es sein, dass die EZB sich einfach gesagt hat, was die FED (US-Notenbank) kann, das können wir auch, schliesslich war diese ja erfolgreich, wie es in einem Artikel in der “Wirtschaftswoche” zu lesen ist. http://www.wiwo.de/politik/konjunktur/diw-praesident-fratzscher-die-fed-war-erfolgreich/9632322.html
Oder ist der “Aufschwung” dort eher dem Umstand geschuldet, dass die USA plötzlich zum größten Ölproduzenten aufgestiegen ist ?
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https://www.piratenpartei.de/2015/01/24/mehr-kredite-durch-mehr-geld-die-machtlosigkeit-der-zentralbank/